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Robinson Crusoe

Robinson Crusoe

Titel: Robinson Crusoe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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die Gefahr nachzudenken, in der ich wirklich so viele Jahre lang auf dieser Insel geschwebt hatte, und wie ich in völligem Sicherheitsgefühl und mit der größten Ruhe hier umhergewandert war, während vielleicht nur eine Anhöhe oder ein großer Baum oder die gerade hereinbrechende Dunkelheit zwischen mir und dem fürchterlichen Schicksal gestanden hatten, dem Schicksal nämlich, in die Hände von Kannibalen und Wilden zu fallen, die mich genau so gefangen haben würden, wie ich eine Geiß oder Schildkröte fing, und es genau sowenig für ein Verbrechen gehalten hätten, mich zu töten und aufzufressen, wie ich es für verbrecherisch hielt, eine Taube oder dergleichen zu verspeisen. Es wäre ungerecht gegen mich selbst, wenn ich sagen würde, daß ich nicht aufrichtig von Dank erfüllt war gegen meinen großen Erhalter und nicht in tiefer Demut anerkannte, daß ich seinem wunderbaren Schutz allein alle diese mir unbewußt gebliebenen Errettungen zu verdanken hatte, ohne die ich unfehlbar in die erbarmungslosen Hände der Wilden gefallen wäre.
    Nachdem diese Betrachtungen beendet waren, beschäftigte mein Kopf sich eine Zeitlang damit, über die Wesensart dieser nichtswürdigen Kreaturen, die
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    Wilden, meine ich, nachzudenken, und wie es in der Welt geschehen könne, daß der weise Lenker aller Dinge es zuließ, daß einige seiner Geschöpfe so unmenschlich, ja so tierisch und schlimmer als tierisch sein konnten, ihresgleichen aufzufressen: aber da dies nur in allerlei (zurzeit fruchtlosen) Spekulationen endete, kam mir der Gedanke, ausfindig zu machen, in welchem Teil der Welt diese Wilden lebten, wie weit die Küste war, von der sie herüberkamen, warum sie sich so weit von ihrer Heimat wegwagten, was für Boote sie hatten und ob es mir nicht ebensogut möglich sein sollte, dorthin zu gelangen, wie sie hierherkamen.
    Ich machte mir weiter kein Kopfzerbrechen darüber, was ich tun wollte, wenn ich hinüberkäme; was aus mir werden sollte, wenn ich den Wilden in die Hände fiele; wie ich ihnen entgehen sollte, wenn sie mich angriffen, oder wo ich, wenn ich ihnen wirklich entging, etwas zu essen hernehmen, ja wo ich überhaupt meinen Kurs hinlenken sollte. Mein Kopf war ganz voll von dem einen Gedanken, mit meinem Boot ans Festland hinüberzukommen. Meine
    gegenwärtige Lage erschien mir als die elendeste, die sich denken ließ, und mir konnte schließlich nichts Schlimmeres begegnen als der Tod. Erreichte ich wirklich das Festland, so könnte ich vielleicht an der Küste entlang fahren, wie ehemals an der
    afrikanischen Küste, bis ich zu einem bewohnten Land käme, wo ich Unterkunft finden würde; ja, vielleicht würde ich auch einem christlichen Schiff begegnen, das mich aufnehmen würde, und käme es wirklich zum Schlimmsten, nun, so würde ich eben sterben
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    und damit allem Jammer mit einem Male ein Ende machen.
    Bedenke bitte, mein Leser, daß dies alles die Ausgeburt eines verstörten, ungeduldigen Gemüts war, das fast zur Verzweiflung getrieben war durch die schon so lange währende Beunruhigung und durch die Enttäuschung, die ich in dem Wrack erfahren halte, als ich dort an Bord war und so recht daran war, das zu finden, wonach ich mich so sehr gesehnt hatte: nämlich jemanden, mit dem ich reden und von dem ich Näheres über die Lage meiner Insel und die Möglichkeiten meiner Befreiung erfahren konnte.
    Durch alles das, sage ich, war ich ganz aufgewühlt.
    Mit all meiner stillen Ergebung in den Willen der Vorsehung, mit allem ruhigen Abwarten, wohin die Anordnungen des Himmels führen würden, schien es für jetzt vorbei, und es war, als hätte ich nicht mehr die Kraft, meine Gedanken auf irgend etwas anderes zu richten als auf den Plan einer Fahrt nach dem Festland, der mich mit solcher Gewalt und solchem Ungestüm überkam, daß ich ihm nicht zu widerstehen vermochte.
    Nachdem ich solche Gedanken zwei Stunden oder länger so heftig im Kopf herumgewälzt hatte, daß mein ganzes Blut davon in Aufruhr war und mein Puls schlug, als wenn ich Fieber hätte, half sich schließlich die Natur selber, und ich fiel, zu Tode erschöpft, in einen tiefen Schlaf. Man würde meinen, ich hätte auch noch davon geträumt, aber nein, keineswegs.
    Vielmehr träumte ich, ich käme am Morgen wie gewöhnlich aus meiner Burg und sähe zwei Kanoes an der Küste, aus dem elf Wilde ans Land stiegen. Sie
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    führten einen anderen Wilden mit sich, den sie töten wollten, um ihn aufzufressen. Plötzlich aber

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