Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
mindestens zehn Stunden das Boot nicht wieder flott gemacht werden konnte. Bis dahin aber mußte es schon völlig dunkel sein, und ich konnte dann gefahrloser die Bewegungen der Fremden beobachten und ihre etwaigen Unterredungen behorchen.
Fürs Erste machte ich mich jetzt kampffertig, jedoch mit mehr Umsicht als sonst, da ich wußte, daß ich es diesmal mit einer ganz anderen Art von Gegnern zu tun hatte als früher. Ich befahl auch Freitag, den ich inzwischen zu einem vortrefflichen Schützen herangebildet, sich mit Waffen zu versehen. ergriff selbst zwei Jagdflinten und gab ihm drei Gewehre. Mein Aussehen war in der Tat geeignet, Furcht zu erregen. Ich sah schrecklich aus in meinem Rock von Ziegenfell und mit der früher beschriebenen Mütze auf dem Kopfe, den bloßen Säbel an der Seite, zwei Pistolen im Gürtel und eine Flinte über jede Schulter.
Obwohl ich anfangs entschlossen war, vor Einbruch der Nacht Nichts zu unternehmen, änderte ich doch bald meinen Plan. Gegen zwei Uhr nämlich, als die Hitze den höchsten Grad erreicht hatte, bemerkte ich, daß die Seeleute sämmtlich einzeln in den Wald gegangen waren, wahrscheinlich um dort einen Mittagsschlaf zu halten. Die drei unglücklichen Gefangenen aber, zu sorgenvoll, um den Schlummer finden zu können, saßen im Schatten eines großen Baumes etwa eine Viertelmeile von mir entfernt. Dort vermochten sie, wie ich glaubte, von keinem der Übrigen gesehen zu werden, und darauf hin beschloß ich, mich ihnen zu zeigen und sie über ihr Schicksal zu befragen. Sofort machte ich mich in dem oben beschriebenen Aufzug auf den Weg, Freitag folgte eine Strecke hinter mir, gleichfalls fürchterlich anzuschauen, wenn auch nicht ganz so ungeheuerlich wie ich. Ich näherte mich den Fremden, so weit es ging, ohne bemerkt zu werden, und rief dann, ehe mich einer erblickt hatte, in spanischer Sprache, ihnen laut zu: »Wer seid Ihr, Leute?« Sie stutzten bei dem Laut, aber in weit größere Verwirrung gerieten sie noch, als sie mich in meinem sonderbaren Aufzug erblickten. Sie antworteten nicht und wollten eben sich auf die Flucht begeben, als ich ihnen auf englisch zurief: »Gentlemen, fürchtet Euch nicht vor mir! Vielleicht ist Euch ein Freund näher, als Ihr es gehofft habt«. – »Dann muß er geraden Wegs vom Himmel geschickt sein«, sagte traurig einer der Gefangenen zu mir, »denn in unserer Lage ist Menschenhülfe ein Ding der Unmöglichkeit.« »Alle und jede Hilfe kommt vom Himmel, Herr«, entgegnete ich. »Aber wollt Ihr nicht einem Euch Unbekannten den Weg zeigen, wie Euch aus der großen Not, in der Ihr Euch zu befinden scheint, zu helfen steht? Ich sah Euch hier landen, und als Ihr, wie es schien, die rohen Menschen um Gnade batet, bemerkte ich, daß einer derselben sein Schwert zog, Euch zu töten.«
Dem armen Menschen rannen jetzt die Tränen vom Gesicht, und zitternd mit Mienen, als sei er vom Donner gerührt, antwortete er: »Spricht Gott selbst zu mir oder ein Mensch? Habe ich einen Sterblichen vor mir oder einen Engel?« – »Darüber macht Euch keine Gedanken«, entgegnete ich. »Wenn ein Engel Gottes zu Eurer Errettung geschickt wäre, so würde er in besseren Kleidern gekommen sein wie ich und auch andere Waffen tragen, als Ihr an mir seht. Ich bitte Euch, gebt alle Furcht auf. Ich bin ein gewöhnlicher Mensch wie andere, und zwar ein Engländer, und beabsichtige Euch beizustehen. Ihr seht, ich habe zwar nur Einen Diener; wir besitzen aber Waffen und Munition. Sagt uns gerade heraus, ob wir Euch nützen können. Was für ein Schicksal ist es, das Euch betroffen hat?«
»Unser Schicksal zu erzählen, Herr«, erwiderte er, »würde jetzt zu viel Zeit in Anspruch nehmen, während unsre Mörder so nahe sind. Kurz heraus gesagt, Herr, ich war Kapitän jenes Schiffes, und meine Mannschaft hat gegen mich eine Meuterei unternommen. Nur mit Mühe ist sie davon abgebracht worden, mich zu ermorden, und endlich haben sie mich nebst diesen beiden Männern, von denen der eine mein Steuermann, der andere einer meiner Schiffspassagiere war, an diesem öden Eiland ausgesetzt. Wir glaubten hier sterben zu müssen, da wir den Ort für unbewohnt hielten, und auch jetzt wissen wir nicht, wie wir Errettung finden sollen.«
»Wo sind Eure Feinde, diese Bestien, hingekommen?« fragte ich. – »Dort liegen sie, Herr«, erwiderte er, indem er auf ein Baumdickicht zeigte. »Mein Herz zittert vor Furcht, daß sie uns gesehen und Euch sprechen gehört haben. Wenn das der Fall
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