Robinson Crusoe
fürchten brauchen. Aber der Himmel hatte es anders bestimmt, und es mag für alle, die mit meiner Geschichte bekannt werden, nicht ohne Nutzen sein, daraus zu ersehen, wie häufig im Laufe unseres Lebens ein Unheil, das wir an sich nach Kräften zu vermeiden suchen und das, wenn wir dennoch hineingeraten, höchst schrecklich für uns ist, oftmals gerade das Mittel oder die Tür zu unserem Heil ist, durch die allein wir wieder aus einer Not. in der wir uns befinden, hinausgelangen können. Ich könnte aus meinem wunderbaren Leben viele Beispiele hierfür geben, besonders aber aus den letzten Jahren meiner Einsiedlerzeit auf dieser Insel.
Es war im Dezember meines - wie oben gesagt dreiundzwanzigsten Jahres, also zur Zeit der südlichen Sonnenwende (denn Winter kann ich es nicht nennen), die für mich die eigentliche Erntezeit war, wo ich mich viel auf den Feldern aufhalten mußte, als ich eines Morgens, an dem ich schon sehr früh, noch bevor es ganz hell war, draußen umherstreifte, zu meiner Bestürzung den Schein eines Feuers am Strande sah, etwa zwei Meilen von mir entfernt. Ich war furchtbar erschrocken; denn auf dieser Seite der Insel hatte ich noch niemals Wilde gesehen.
Ich lief in höchster Angst zurück in mein Wäldchen, aus dem ich mich nicht hinauszurühren wagte; aber auch hier hatte ich keine Ruhe, aus Furcht, diese Wilden könnten, wenn sie durch die Insel streiften, mein noch stehendes oder schon gemähtes Korn finden, daraus schließen, daß Menschen auf der Insel wären, und nicht eher ruhen, bis sie mich gefunden hätten. Diese Angst trieb mich geradenwegs zu meiner Burg zurück, und nachdem ich dafür gesorgt hatte, daß alles so wild und natürlich wie nur möglich aussah, zog ich die Leiter hinter mir hoch.
Drinnen rüstete ich alles zur Verteidigung. Ich lud meine Kanonen, alias Musketen, sowie all meine Pistolen und beschloß, mich bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Ich vergaß nicht, mich dem Schutz Gottes zu empfehlen, mit dem innigsten Gebet, mich aus den Händen dieser Barbaren zu erretten. Und so verharrte ich zwei Stunden, wurde aber dabei furchtbar begierig auf Nachrichten von draußen, da ich ja keine Spione aussenden konnte.
Nachdem ich noch eine Weile gewartet und gegrübelt hatte, was zu tun sei, hielt ich es nicht länger aus, hier in Ungewißheit zu sitzen. Ich legte also meine Leiter an den Hügel, wo, wie ich erzählt habe, ein flacher Vorsprung war, zog sie hinter mir hoch, legte sie nochmals an und stieg so auf den Gipfel des Hügels. Ich nahm mein Fernglas heraus, legte mich platt auf den Bauch nieder und schaute nach der Stelle hin. Ich sah sogleich nicht weniger als neun nackte Wilde um ein kleines Feuer herumsitzen, das sie angezündet hatten, nicht um sich zu wärmen, denn das hatten sie nicht nötig, da es außerordentlich heiß war, sondern offenbar um ihr barbarisches Fressen von Menschenfleisch, das sie sich tot oder lebendig mitgebracht hatten, zu braten. Sie hatten zwei Kanoes bei sich, die sie auf den Strand gezogen hatten, und mochten wohl, da es Ebbe war, auf die Flut warten, um wieder abzufahren. Es läßt sich schwer vorstellen, wie furchtbar mich dieser Anblick erregte, vor allem, sie auf meiner Seite der Insel und mir so nahe zu sehen. Aber als ich mir klarmachte, daß sie nie anders als mit der Strömung der Ebbe kommen konnten, beruhigte ich mich wieder etwas in dem Gedanken, daß ich während der ganzen Flutzeit allemal ungefährdet ausgehen dürfte.
Wie ich gedacht, so geschah es. Sobald die Flut nach Westen daherrollte, sah ich sie allesamt in die Boote springen und wegrudern oder -paddeln. Ich muß noch bemerken, daß sie eine Stunde oder länger vor ihrer Abfahrt zu tanzen anfingen; ich konnte ihre Stellungen und Gebärden durch mein Glas gut erkennen. Ich sah auch, daß sie vollkommen nackt waren und nicht den geringsten Fetzen auf dem Leibe hatten: aber ob es Männer oder Frauen waren, konnte ich nicht unterscheiden.
Sobald ich sie auf demWasser und wegfahren sah, nahm ich zwei Gewehre über meine Schultern und steckte zwei Pistolen in meinen Gürtel und meinen großen Säbel ohne Scheide an die Seite und lief in aller Eile zu dem Hügel, von wo ich sie zuerst erblickt hatte. Als ich dort angelangt war. allerdings erst nach nicht weniger als zwei Stunden (denn ich konnte nicht allzu schnell laufen, weil ich so mit Waffen beladen war), entdeckte ich, daß noch drei weitere Kanoes mit Wilden hier gewesen waren; denn ich sah sie alle zusammen nach
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