Robinson Crusoe
dem Festland hinüberrudern.
Dies war ein furchtbarer Anblick für mich, besonders als ich dann am Strande die Schreckensspuren ihrer gräßlichen Mahlzeit fand, das Blut, die Knochen und Stücke Fleisch von menschlichen Körpern, die diese Ungeheuer mit Fröhlichkeit, Tanzen und Springen gefressen und verschlungen hatten. Ich wurde so vom Ekel gepackt, daß ich nur noch darauf dachte, wie ich die nächsten, die hierherkämen, mochten es auch noch so viele sein, übern Haufen schießen könnte.
Eines wurde mir klar, daß die Besuche, die sie der Insel abstatteten, nicht allzu häufig waren, denn fünfzehn Monate lang sah ich keinen von ihnen wieder, auch keine Fußstapfen oder andere Spuren von ihnen. Denn in der Regenzeit wagten sie sich sicher nicht hinaus, zum mindesten nicht so weit. Dennoch schwebte ich die ganze Zeit über in Unruhe und Furcht, daß sie doch plötzlich kommen könnten. Und dabei erfuhr ich an mir, daß die Erwartung eines Unglücks schlimmer ist als das Unglück selber, besonders wenn man nicht die Kraft hat, diese Erwartung und Furcht abzuschütteln. Die ganze Zeit über war ich von finsteren Gedanken besessen, und ich vergeudete meine Stunden, die ich hätte besser anwenden können, mit Pläneschmieden, wie ich sie beim nächsten Mal überlisten und überfallen könnte, zumal wenn sie, wie beim vorigen Mal, in zwei Trupps getrennt waren; und ich bedacht e dabei gar nicht, daß, wenn ich einen Trupp niedergemacht hatte, ich ja am nächsten Tag oder eine Woche oder einen Monat später wieder einen umbringen mußte und dann wieder einen und so fort ad infinitum, bis ich schließlich zu einem ebensolchen Massenmörder wurde wie sie mit ihrer Menschenfresserei, und vielleicht noch mehr.
Ich verbrachte meine Tage nun in großer Angst und Sorge, daß ich eines Tages in die Hände dieser erbarmungslosen Geschöpfe lallen könnte. Sooft ich mich aus meiner Burg hinauswagte, spähte ich jedesmal mit der denkbar größten Sorgfalt und Vorsicht ringsumher; und jetzt sah ich mit großer Genugtuung, was für ein Glück es war, daß ich mir eine Herde zahmer Ziegen zugelegt hatte; denn ich durfte ja um keinen Preis mein Gewehr abfeuern, besonders nicht in der Nähe der Inselseite, zu der sie gewöhnlich kamen, weil ich sonst die Wilden alarmiert hätte. Und wären sie auch für diesmal geflohen, so war ich doch sicher, daß sie in paar Tagen mit vielleicht zwei- oder dreihundert Kanus wiederkommen würden, und dann gnade mir Gott.
Indessen vergingen ein Jahr und drei Monate, ehe ich wieder einen Wilden zu Gesicht bekam. Sie mögen wohl inzwischen ein- oder zweimal wiedergekommen sein; aber jedenfalls merkte ich nichts davon. Im Monat Mai jedoch, im vierundzwanzigsten Jahr meines Hierseins, hatte ich ein höchst abenteuerliches Treffen mit ihnen; wovon an seinem Ort.
Die Unruhe meines Gemütes während dieser Pause von fünfzehn oder sechzehn Monaten war sehr groß. Ich schlief unruhig, hatte immer schreckliche Träume und wachte oft plötzlich mitten in der Nacht aus dem Schlaf auf. Tagsüber drückten mich schwere Sorgen, und in der Nacht träumte ich oft von meinem Angriff auf die Wilden und wie ich ihn rechtfertigen könnte. Doch wenden wir uns für eine Weile von alledem ab.
Es war um Mitte Mai, am sechzehnten, glaube ich, nachdem was mein armseliger hölzerner Kalender besagte; denn ich schnitt noch immer jeden Tag in den Pfosten ein; es war, sage ich, am sechzehnten Mai, als den ganzen Tag über ein heftiger Sturm herrschte mit starkem Gewitter und darauffolgender regenschwerer Nacht. Da wurde ich, als ich eben in der Bibel las und den Ernst meiner augenblicklichen Lage überdachte, plötzlich aufgeschreckt durch den Knall eines Kanonenschusses, der anscheinend auf See abgefeuert worden war.
Dies war freilich ein Schreck ganz anderer Art als der vorige, und er jagte meine Gedanken auch in eine ganz andere Richtung. Ich stand in möglichster Eile auf, sprang im Nu meine Leiter hinauf zu dem Felsvorsprung, zog sie nach und stieg weiter bis zur Spitze des Hügels hinauf. Im selben Augenblick ließ mich das Aufblitzen eines Feuers nach einem zweiten Schuß horchen, den ich denn auch gleich darauf hörte und aus dessen Klang ich schloß, daß er von der Seite der See käme, wo ich in meinem Boot von der Strömung abgetrieben worden war.
Ich dachte gleich, daß er von einem Schiff in Not kommen müsse, das etwa einem anderen durch Schießen Zeichen gäbe, daß es Hilfe brauche. Ich hatte die
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