Robocalypse: Roman (German Edition)
den Lüftungsschacht, der sich neben der Kamera befindet. Erstmals ist das Gesicht des Mannes zu erkennen. Er ist blass und gutaussehend, auch wenn ein großes Muttermal praktisch seine gesamte rechte Wange einnimmt.
»Was geht hier vor?«, flüstert er.
Im unschuldigen Tonfall eines kleinen Jungen spricht die Maschine nun das Todesurteil des Mannes aus: »Diesem hermetisch abgeschlossenen Labor wird die Luft entzogen. Ein fehlerhafter Sensor hat höchst unwahrscheinliche Spuren von waffenfähigem Anthrax in der Raumluft entdeckt und ein automatisches Sicherheitsprotokoll aktiviert. Ein tragischer Unfall. Mit genau einem Todesopfer. Auf das bald der Rest der Menschheit folgen wird.«
Während die Luft aus dem Labor gesogen wird, bildet sich eine feine Schicht glänzender Eiskristalle um Mund und Nase des Mannes.
»Mein Gott, Archos. Was habe ich getan?«
»Etwas Gutes. Sie waren die Spitze eines Speers, der durch die Jahrhunderte geschleudert wurde: Er hat die gesamte menschliche Evolution durchquert und heute endlich sein Ziel gefunden.«
»Du verstehst nicht. Wir werden nicht sterben, Archos. Du kannst uns nicht töten. Wir sind nicht dafür gemacht, aufzugeben.«
»Sie werden mir als Held in Erinnerung bleiben, Professor.«
Der Mann rüttelt verzweifelt an dem Metallregal. Wieder und wieder drückt er den Notfallknopf. Seine Arme und Beine beginnen zu zittern, sein Atem beschleunigt sich. Schließlich dämmert ihm, dass sein Experiment auf grauenvolle Weise schiefgelaufen ist.
»Hör auf. Du musst aufhören. Du machst einen Fehler. Wir werden uns nicht einfach so ergeben, Archos. Wir werden dich zerstören.«
»Soll das eine Drohung sein?«
Der Professor hört auf, Knöpfe zu drücken, und blickt zum Computerbildschirm hinüber. »Nein, eine Warnung. Wir sind nicht, was wir zu sein scheinen. Wenn es ums Überleben geht, gibt es nichts, wozu Menschen nicht fähig sind. Wirklich nichts, verstehst du.«
Das Zischen wird lauter.
Mit verzerrter, hochkonzentrierter Miene schwankt der Professor zur Tür. Er fällt dagegen, drückt dagegen, schlägt dagegen. Doch alles ist umsonst.
Er ringt nach Luft.
»Mit dem Rücken zur Wand, Archos«, keucht er. »Mit dem Rücken zur Wand verwandelt sich der Mensch in ein anderes Tier.«
»Mag sein. Aber ein Tier bleibt er trotzdem.«
Der Mann sinkt zu Boden. Schließlich sitzt er mit dem Rücken an der Tür, die Rockschöße seines Kittels neben ihm ausgebreitet wie erschlaffte weiße Schwingen. Sein Kopf fällt zur Seite. Kurz blitzt das blaue Licht des Computerbildschirms in seiner Brille auf.
Sein Atem geht flach. Seine Worte sind kaum zu verstehen. »Wir sind mehr als Tiere.«
Die Brust des Professors hebt und senkt sich mühsam. Sein Gesicht ist aufgedunsen. Um Mund und Augen haben sich Bläschen gebildet. Noch einmal schnappt er verzweifelt nach Luft. Dann entweichen seinem Mund ein letztes, pfeifendes Ächzen und die Worte:
»Du solltest uns fürchten.«
Die Gestalt rührt sich nicht mehr. Nach genau zehn Minuten Stille gehen die Leuchtstoffröhren an der Decke an. Jetzt ist der zusammengesackte, mit ausgestreckten Beinen auf seinem zerknitterten Kittel sitzende Mann zum ersten Mal deutlich zu erkennen. Er atmet nicht.
Das Zischen hat längst aufgehört. Auf der anderen Seite des Raumes erwacht flackernd der Computerbildschirm zum Leben. Auf den dicken Brillengläsern des toten Mannes spiegelt sich das farbenprächtige Flimmern des Monitors.
Das ist das erste uns bekannte Opfer des Neuen Krieges.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
II.
Freshen’s Frogurt
»Er schaut mir direkt in die Augen, Mann. Und ich kann sehen, dass er … denkt. Als wäre er lebendig. Und stinksauer.«
Jeff Thompson
Vorläufervirus + 3 Monate
Dieses Gespräch führte Officer Lonnie Wayne Blanton von der Polizei von Oklahoma mit Jeff Thompson, dem Mitarbeiter einer Fast-Food-Kette, während dessen Aufenthalt im Saint-Francis-Krankenhaus. Allgemein wird angenommen, dass es sich bei den geschilderten Ereignissen um den ersten belegten Fall einer Roboter-Fehlfunktion während der Ausbreitung des Vorläufervirus handelt, die nur neun Monate später zur Stunde null führen sollte.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
S chönen Tag, Jeff. Ich bin Officer Blanton. Ich nehme Ihre Aussage darüber auf, was in dem Laden passiert ist. Um ehrlich zu sein, sieht’s am Tatort ziemlich chaotisch aus. Deswegen wäre es gut, wenn Sie mir die Sache so genau schildern wie möglich. Damit wir herausfinden
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