Rocking Horse Road (German Edition)
und eine Saison scheint gerade erst zu Ende zu sein, wenn die nächste schon wieder angekurbelt wird. Da wird man leicht zum Zyniker und hält das Ganze nur mehr für ein Produkt, das gekauft und konsumiert werden soll. Rugby ist nun etwas für die Werbefritzen, die ihr Geschäft damit machen und uns sorgsam verpackte Appelle an unseren Patriotismus unter die Nase reiben.
Mark Murray saß mit uns im Stadion beim Match gegen die Lions. Normalerweise geht er nie zu einem Spiel, schaut es sich höchstens im Fernsehen an. An diesem Tag aber hatten wir ein Ticket übrig und waren überrascht, daß er es annahm. Marks Afro-Frisur gehört längst der Vergangenheit an. Sein Haar wurde schon in seinen Zwanzigern dünn und gab immer mehr von der Stirn frei, mittlerweile läßt er nur noch Stoppeln stehen. Er saß da und betrachtete die All Blacks und die Lions; wortlos starrte er auf das Feld, wo das Spiel hin- und herwogte unter dem überhellen Flutlicht.
Wir alle verstehen seinen Widerwillen gegen das Stadion. Wir kennen das Problem von Orten, an denen sich Vergangenheit und Gegenwart unangenehm berühren. Mark war hier beim ersten Match gegen die Springboks im August 1981. Sein Vater hatte ihn mitgenommen. Er hat uns erzählt, wie er die ersten Demonstranten aufs Feld rennen sah. Sie mußten durch die schmalen Durchlässe laufen, die man zwischen den Stacheldrahtrollen um das Spielfeld gelassen hatte. Die meisten wurden sofort von der Polizei gepackt und hinter den Zaun zurückgetrieben, aber einige kamen durch. Etwa zwanzig Leute bildeten mit untergehakten Armen eine Kette auf der Mittellinie und warteten auf die Einsatzkräfte mit gezückten Gummiknüppeln.
Um Mark herum erhob sich ein riesiges Geschrei: »Raus! Raus! Raus!« Der Mann neben ihm war aufgestanden und brüllte mit hochrotem Gesicht aus Leibeskräften. Mark hatte Angst, er könnte platzen. »Ich werde nie vergessen, was er gebrüllt hat: ›Schlagt sie, schlagt sie tot, die Scheißkommunisten!‹«
Hinter ihm schrie jemand: »Erschießen! Sofort erschießen!« und immer weiter, bis seine Stimme versagte.
»Mir wurde schlecht«, sagte Mark später. Und dann sagte er etwas, das keiner von uns je vergessen hat. »Da war diese Gewalt in den Leuten, dieselbe Gewalt, die Lucy getötet hat.«
Tug Gardiner war ebenfalls mit seinem Vater da, in einem anderen Teil des Stadions. Er sah, wie ein Polizist einem Demonstranten voll ins Gesicht schlug. Der Mann ging auf den Polizisten zu, die Hände an den Hüften, und der Polizist holte kurz aus und schlug ihn zu Boden. Als die Demonstranten dann von der Polizei weggeführt wurden, regnete es Dosen und Flaschen auf sie, viele davon waren noch voll. Ein Mann wurde von einer braunen Flasche am Kopf getroffen, die Flasche zersplitterte, und er sackte zusammen wie ein getöteter Stier im Schlachthof. Die Menge jubelte so begeistert, als hätten die All Blacks einen Punkt erzielt. Tug wandte sich zu seinem Vater und sah, daß er lachte.
Diejenigen von uns, die nicht beim Spiel waren, verfolgten die Protestaktionen in den Abendnachrichten. Wir sahen, wie sich die Polizei mit den Tausenden Demonstranten schlug, die sich Welle auf Welle gegen die Absperrungen warfen, um ins Stadion zu gelangen und das Spiel abzubrechen. Blaue Uniformjacken und zuschlagende Gummiknüppel. Polizeistiefel auf nasser Straße. Reihen von Polizisten mit Schutzschilden marschieren auf ruhig dastehende Demonstranten zu. Gummiknüppel knallen auf Motorradhelme, in Gesichter, brechen Kieferknochen, Nasenbeine, schlagen Zähne aus, zersplittern Augenhöhlen. Blut und Männer und Frauen jeden Alters auf dem Boden. Wir konnten kaum fassen, daß wir diesmal nicht Bilder aus einem fernen Land sahen. Am nächsten Tag waren schwarzweiße Fotos von bewußtlos auf der Straße liegenden Leuten in der Zeitung. Und solche von Demonstranten, die mit gebrochenen Nasen und offenen Kopfwunden blutüberströmt weggeführt wurden.
In den folgenden Wochen schauten wir uns die nächsten Begegnungen im Fernsehen an. Die Spiele in Nelson, Napier und Rotorua wie natürlich auch die beiden anderen Test Matches in Wellington und Auckland. In uns wuchsen Trauer und Unbehagen. Wir hatten das Gefühl, daß da vor unseren Augen etwas sehr Wichtiges zerbrach. Wir konnten es nicht benennen, es war etwas, was uns zuvor selbstverständlich gewesen war und was, wie wir instinktiv wußten, niemals würde repariert werden können. Pete sagte damals: »Es fühlt sich an, als hätten Mum
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