Rocking Horse Road (German Edition)
kommen würden und wir hätten ihm das auch nicht sagen können –, deshalb hatte er zu viele von diesen hölzernen Klappstühlen aufgestellt. Das war schade, denn die vielen leeren Stühle ließen die Gruppe noch kleiner erscheinen, so als hätten sich die anderen nicht die Mühe gemacht zu kommen.
Petes Vater war zehn Jahre zuvor gestorben, und seine Mutter saß in der Mitte der ersten Reihe. Sie wirkte schmal und zerbrechlich wie eine alte Amsel. Petes Exfrau saß am Rand derselben Reihe, obwohl ihr der Status als Familienmitglied definitiv aberkannt worden war. Sie trug einen Wollhut, der ihr etwas Russisches verlieh, dabei kam sie aus Timaru. Sie saß steif da und schaute gelangweilt vor sich hin. Nach der Zeremonie sprach sie ostentativ mit keinem von uns. Sie blieb nicht mal ein paar Anstandsminuten. Jim sagte, sie sei schneller weg gewesen als der Sarg. Im Rückblick ist es wahrscheinlich ein Glück gewesen, daß sie keine Kinder hatten.
Zu Beginn des Gottesdienstes begrüßte der Priester Petes Mutter und verlas eine Botschaft von Petes älterem Bruder Tony. Es war eine Email, und er schrieb darin, daß er im Mittleren Osten arbeitete, auf einem Öltanker im Persischen Golf, und daß er es niemals rechtzeitig zum Begräbnis geschafft hätte. Er wußte, Pete hätte das verstanden.
Wenn wir uns umschauten, wurde uns klar, daß wir die einzigen Freunde von Pete waren. Es gab noch ein paar Arbeitskollegen, die wir aber nicht kannten, und sonst nur Familienangehörige, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Wir saßen auf der rechten Seite des Mittelgangs, der die Stühle in zwei Gruppen teilte. Alle anderen hatten sich nach links gesetzt. Al Penny flüsterte, daß wir, wenn es sich um eine Hochzeit handeln würde, die komplette Familie des Bräutigams wären. Und eine ziemlich komische Familie dazu: eine lockere Gruppierung von beklommenen Typen mittleren Alters in billigen schwarzen Anzügen, die kaum ihren Schockzustand zu verbergen wußten. Man konnte fast riechen, wie die Angst aus unseren muffigen Jacketts aufstieg. Wie Matt Templeton wieder und wieder sagte:
»Er war doch erst einundvierzig, gottverdammte Scheiße.« Wenn sich der Sensenmann so in der Tür vertun konnte, welche Hoffnung gab es dann für uns? Daran dachten wir, während der Priester alle Anwesenden begrüßte. Uns ging der Arsch auf Grundeis.
Petes Sarg lag auf einer Tragbahre aus Metall, der Sargdeckel war geschlossen. In den letzten Wochen hatte der Krebs an ihm gefressen wie ein Parasit. Zuletzt verbot er uns, ihn im Hospiz zu besuchen. Er stand unter starken Schmerzmitteln, seine Gedanken bewegten sich in Bahnen, denen wir nicht folgen konnten, wenn wir überhaupt verstanden, was er sagte. Pete wollte nicht, daß ihn irgend jemand in diesem Zustand sah – nicht einmal wir. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Wir waren erleichtert. Der Krebs, der zuerst sein Fett abgeschmolzen hatte, so daß er jünger aussah, ließ es nicht dabei bewenden. Er fraß weiter, bis Pete so runzlig war wie ein Hundertjähriger. Es ist hart, wenn man einen Freund zum lebenden Strichmännchen werden sieht. Am Schluß sah er aus wie eine Karikatur des Tods selbst.
Als er uns informiert hatte, daß wir nicht mehr kommen sollten, gingen wir alle noch einmal zu ihm, um uns zu verabschieden. Wir drängten uns in sein kleines Krankenzimmer mit dem Blick auf die Hügel. Natürlich sprach Pete von Lucy und dem Mord. Als letztes sagte er – wir waren schon halb aus der Tür –, wir sollten ihn anrufen, wenn es etwas Neues in dem Fall gäbe. Es gab nichts Neues. Vier Tage später war er tot.
Beim Begräbnis hatte der Priester kein Pult, sondern sprach mit seinem Manuskript in der Hand. »Wir haben uns hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Peter John Marshall und seine Seele in Gottes Hände zu legen und seinen Leib der Erde zurückzugeben und alle, die um ihn trauern, unserer Teilnahme und Liebe teilhaftig werden zu lassen, in der Hoffnung auf das Ewige Leben, das uns durch Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus geoffenbart ist.«
Wir waren überrascht, daß Pete einen richtigen Gottesdienst haben wollte. Außer als Kind, wenn er mit seinen Eltern in die Kirche ging, hatten wir ihn nie im Gottesdienst gesehen. Bei den meisten von uns war es ebenso, und wir wunderten uns darüber, an wieviel wir uns aus den Messen unserer Kindheit noch erinnern konnten. Als es soweit war, ging uns das Vaterunser so leicht von den Lippen wie unsere eigene
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