ROD - Die Autobiografie
Anstrengung, die sie auf sechs- bis siebenmonatigen Tourneen bewältigen musste, um sich gegen eine der unvernünftig lautesten Bands im Showbusiness durchzusetzen, führte dazu, dass sie gestresst war und sich entsprechend verhielt. An manchen Abenden war ich eine blasse Imitation meiner selbst. Manchmal nahm ich zwei oder drei Nummern aus dem Set, um es bis zum Ende zu schaffen – was ich schrecklich fand, weil es mir vorkam, als würde ich die Leute betrügen. An anderen Abenden hatte ich einfach keine Stimme mehr, und die Show musste komplett abgesagt werden. Das quälte mich am meisten.
So etwas wie eine gute Konzertabsage gibt es nicht. Aber am schlimmsten ist eine Absage, wenn sich das Publikum bereits im Saal eingefunden hat. Dann kommt es einem wie eine unverzeihliche Vergeudung der Lebenszeit anderer Menschen vor. Man muss sich bloß vorstellen, wie unangenehm es ist, eine Verabredung zum Abendessen abzusagen, wenn der andere schon im Restaurant sitzt. Diese Verlegenheit multipliziere man mit zwölftausend. Oder mehr. Ich musste ein Konzert im Toronto SkyDome absagen, als die Zuschauer schon anwesend waren, was sich als erfolgreiche Methode erwies, um 25 000 Leute gleichzeitig gegen sich aufzubringen. Und dasselbe passierte vor 18 000 Leuten in einer Open-Air-Arena in Berlin, wo verärgerte Kartenkäufer pflichtschuldig Flaschen warfen und die Bereitschaftspolizei eingreifen musste. Die Crew am Mischpult, das sich mitten in der Arena befand, versteckte vorsichtshalber ihre Bühnenausweise, um nicht verprügelt zu werden. Beschämend.
Aus unerfindlichen Gründen schien Deutschland am meisten davon betroffen. Insgesamt fünfmal sagten wir in dieser Zeit unser Konzert im Kölner Stadion ab. Einmal versuchten wir, einen Auftritt dazwischenzuschieben und eine Show in einer Sporthalle außerhalb von Köln zu spielen, sozusagen als Wiedergutmachung. Wir glaubten, so zumindest unseren guten Willen zeigen und die Enttäuschung etwas lindern zu können. Die Tour war wie geplant schon nach England weitergezogen, und dann wurden Flugzeuge gechartert, die die Anlage von Luton aus zurück nach Deutschland fliegen sollten, um sie am zweiten Veranstaltungsort aufzubauen – und wieder hatte ich keine Stimme, sodass wir erneut absagen mussten. Bestimmt nahmen die Kölner es langsam persönlich. Ich möchte hier und jetzt öffentlich erklären, dass das ehrlich nicht der Fall war.
Anfang der Neunziger war der Punkt erreicht, dass ich praktisch ein unkalkulierbares Versicherungsrisiko darstellte. Lloyd’s of London hatte so oft für abgesagte Shows bezahlen müssen, dass sie das Risiko einfach nicht mehr tragen wollten. Wenn sie mich nicht mehr versichern würden, müsste ich die Kosten für eine Konzertabsage aus eigener Tasche bezahlen – die Trucks, die Crew, die Busse, die Flüge. Eine Rock’n’Roll-Show ist kein billiges Vergnügen. Sich vom Arzt Anabolika verschreiben zu lassen schien mir immer attraktiver.
Schon sehr bald waren meine stimmlichen Schwierigkeiten sowohl ein psychologisches als auch ein physiologisches Problem. Wir Sänger sind selbst an guten Tagen paranoid, was unsere Stimme angeht – in Sorge um die Zimmertemperatur, in Sorge um die Klimaanlage, in Sorge um Pollen und Luftfeuchtigkeit. Ich ahnte das Problem schon, bevor es kam. Am Nachmittag vor einer Show kitzelte es mich vielleicht hinten im Hals, und ich dachte: »Scheiße, was ist das?« Und dann nahm ich für alle Fälle eine Pille. Es kam so weit, dass ich psychisch und physisch gleichermaßen abhängig von den Anabolika wurde.
Als die Vagabond -Tour im März 1991 in Aberdeen zu Ende ging, war ich von Prednison-Tabletten zu einem Drogencocktail übergegangen, den ich mir vor einer Show selbst spritzte – normalerweise in die Hand. Dieser Cocktail bestand aus einem Antibiotikum, einem Anabolikum und Vitamin B. Er sollte eine Entzündung verhindern oder zumindest die Auswirkungen einer Entzündung lindern. Mein Hals mochte sich anfühlen, als hätte ich damit Pfannen geschrubbt, aber der Cocktail brachte mich auf die Bühne.
Das alles drückte selbstverständlich auf meine Stimmung. Anabolika machen launisch. Ich wurde aggressiv und ungeduldig, schnauzte andere schnell mal an, wenn nicht alles glattlief. Viele hielten es wahrscheinlich für das typische Verhalten einer Diva, und in gewissem Maße mochten sie damit auch recht haben. Aber es lag definitiv eine neue Schärfe darin, die durch die Anabolika hervorgerufen wurde.
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