ROD - Die Autobiografie
leichter zu singen.
Nicht zuletzt waren da noch meine eigenen Songs – vier an der Zahl: »Blind Prayer«, »Cindy’s Lament«, »I Wouldn’t Ever Change A Thing« und »An Old Raincoat Won’t Ever Let You Down«. Ich war kein konventioneller Songwriter und hatte deshalb auch unkonventionelle Methoden. Ich hatte die Ideen für die Riffs und Akkordfolgen in meinem Kopf, erklärte sie der Band, und dann ließ ich sie von den Musikern im Studio spielen und damit in Form bringen. Danach nahmen wir die Musik auf, ich packte das Band ein und hörte es mir immer wieder an, bis mir eine Gesangsmelodie und Textzeilen dazu einfielen.
Gott, fiel mir das Texten schwer. Ich mochte es, wenn ein Song eine Geschichte erzählte. Das Beste am Blues, das Beste an Dylan war für mich jeweils das Storytelling. Aber wenn es an mir war, solche Geschichten zu erfinden, hätte ich lieber fast alles andere auf der Welt getan. Selbst mir mehrfach hintereinander die Finger in einer Schranktür einzuklemmen erschien mir eine erfreulichere Aussicht zu sein, als sich hinsetzen und ein paar Strophen samt einem Refrain zu Papier bringen zu müssen.
Auf jeden Fall stellte mich der ganze Vorgang vor ziemlich viele Rätsel. Als wir »Maggie May« schrieben und der Song noch in seinem Anfangsstadium und lediglich eine Folge von Akkorden war, zu der ich Worte und eine passende Melodie brauchte, hatte ich noch keine Ahnung, worum es in der Nummer gehen sollte. Ich plapperte ein bisschen vor mich hin, und an den künftigen Gesangsstellen gab ich Laute von mir, manchmal auch Wörter. Und plötzlich kommt mir da »Wake up« in den Kopf – nicht mal »Wake up, Maggie«, nur »Wake up«. Ich habe keine Ahnung, wie oder warum ich darauf kam. Dann musst du einfach denken, Gott sei Dank, dich darauf einlassen und den Faden aufgreifen, der dich zum Rest der Geschichte führt.
Aber meistens musste ich mich furchtbar dazu zwingen. Ich schob es bis zur letzten Sekunde auf – bis zur Nacht vor der Aufnahme, manchmal bis zum Morgen oder gar bis zur Taxifahrt zum Studio. Der Druck der Deadline sorgte schon dafür, dass etwas rauskommen musste. Außerdem war ich außerordentlich gehemmt, wenn es darum ging, meine Einfälle anderen Leuten zu präsentieren. Schließlich steckt darin zwangsläufig auch ein Teil von mir, es ist fast so, als ob ich jemandem einen Blick in mein Tagebuch gewähre. Eigentlich ist es sogar noch schlimmer: Man gewährt jemandem Einblick in sein Tagebuch und singt auch noch daraus vor. Und das in einen Raum voller Musiker. Meine Texte bezogen sich damals oft auf Erlebnisse aus meiner Vergangenheit. Zwar passte ich sie manchmal beim Textschreiben an, nichtsdestotrotz bildeten persönliche Erfahrungen die Basis. Bei »Cindy’s Lament« geht es zum Beispiel darum, wie man ein Mädchen beeindruckt, das gesellschaftlich über einem steht – das war für mich in den Tagen meiner ersten romantischen Erfahrungen ein wichtiges Thema und geht noch auf die Zeit zurück, in der ich Mädchen rumkriegen wollte, die in einer besseren Gegend wohnten als ich. Gerade weil meine Texte persönliche Elemente enthielten, fiel es mir anfangs sehr schwer, sie anderen Leuten zu zeigen – oft genug kam ich mir dabei vor wie in der Schule, wenn man an die Tafel gerufen wird. Das war mir nicht nur in den Anfangstagen peinlich, das ging noch jahrelang so. Wenn ich den Gesang für einen neuen Song aufnahm und dabei einen gerade erst geschriebenen Text öffentlich präsentierte, habe ich oft genug das ganze Studio räumen lassen. Nur der Tontechniker durfte bleiben – und, wenn es unbedingt sein musste, der Produzent. Nur so konnte ich meine Hemmungen überwinden.
Selbst wenn alles gut gelaufen ist, die Aufnahmen abgeschlossen sind und ich zufrieden damit bin – eigentlich sogar stolz darauf –, kann Wochen später der Punkt kommen, wo mir plötzlich wieder alles peinlich ist, was ich gemacht habe, und ich mich wieder davon distanziere. In der Vergangenheit ist mir das immer mal wieder passiert – sehr zum Missfallen der Plattenfirmen, die gerade anfangen wollten, das Album zu promoten, hinter dem ich nun nicht mehr stand. Mir ging das bei dieser ersten Platte so: Sobald das Album draußen war, tat ich meine eigenen Songs schon wieder als nicht mehr gut genug ab, und zwar nicht nur vor mir selbst, sondern auch gegenüber Journalisten.
Das hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit damit zu tun, dass ich Angriff als die beste Verteidigung empfand.
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