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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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derselben lebendig in Händen zu haben, als Schmerz, so viele Angehörige eingebüßt zu haben. Räuber ziehen Geld sogar ihrem Leben vor und bestimmen den Namen der Freundschaft und Verwandtschaft nur nach dem Gewinne. So war es auch mit diesen. (
Äthiopische Geschichten
1,32)
     
    Auch Cicero deutet auf zumindest eine mögliche Quelle von Spannungen unter den Banditen und ihre Lösung hin: »Denn wer einem von denen, die gemeinsame Raubzüge unternehmen, etwas stiehlt oder entreißt, kann nicht einmal in einer Räuberbande seinen Platz behaupten« (
Vom rechten Handeln
2,11,40). Tatsächlich wird in Achilles Tatius’
Leukippe und Kleitophon
ein Banditenführer, der die Beute nicht gleichmäßig zuteilt, von seinen Männern getötet. In Heliodors Roman ist das Versprechen, die Beute gleichmäßig zu verteilen, der Hauptantrieb für die Räuberbande. Da bei Apuleius unter den Banditen keine Uneinigkeit herrscht, fehlt eine Darstellung von Verfahren der Konfliktlösung.
    Neben diese antiken Beschreibungen des Banditentums stelle ich im Folgenden als Vergleich einen sehr lebendigen Bericht über das Leben von Seeräubern auf dem Atlantischen Ozean im »Goldenen Zeitalter der Piraterie«, der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In seinem Buch
Between the Devil and the Deep Blue Sea
legt Marcus Rediker einen glänzenden Bericht über diese Männer vor. Zwar gab es bereits im 18. Jahrhundert und früher Darstellungen der Piraten und des Piratenlebens, darunter ein pseudonym erschienener, zu Recht berühmter Roman von Daniel Defoe, doch liegt die besondere Bedeutung von Redikers Darstellung darin, dass er authentische Äußerungen von Piraten verwendet. Sie stammen zum Teil aus einer Zeit, in der ein Pirat »anständig« geworden war und seine Lebenserinnerungen zu Papier brachte – vermutlich eine Mischung aus Wahrheit und Dichtung; zum Teil gehen sie auf Forschungen anderer Autoren zurück. Das anschaulichste Material stammt jedoch aus Gerichtsakten,in denen die Aussagen angeklagter Piraten aufgezeichnet sind. Diese Gerichtsverhandlungen waren öffentlich und boten ein Schauspiel, das allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Im Verlauf des Prozesses machten die Piraten Aussagen über ihre Taten; ihr Zeugnis wurde protokolliert und zu den Akten genommen. So existieren also Erklärungen, die von den Piraten selbst abgegeben wurden. Auch wenn sie nicht unbedingt zum Nennwert zu nehmen sind, enthalten sie immerhin etwas Neues, Authentisches, das unseren Quellen aus der Antike vollständig fehlt.
    Redikers Seeräuber lebten abseits der rechtlich geordneten Gesellschaft auf einem Piratenschiff und/oder in einem Basislager auf einer Insel, und ihre Gemeinschaft weist eine klar erkennbare soziale Ordnung auf. Zeitgenossen erschien diese Ordnung als Unordnung, doch bei näherer Betrachtung erweist sie sich angesichts von Herkunft, Möglichkeiten und Zielen der Bandenmitglieder als logisch, zweckmäßig und effizient. Hinzu kommt: »Diese soziale Ordnung, wie sie in der Organisation des Piratenschiffs ihren Ausdruck findet, wurde von den Piraten selbst konzipiert und gezielt ausgearbeitet. Ihr Kennzeichen war ein rudimentärer, improvisierter, doch wirksamer Egalitarismus, der die Machtbefugnis in die Hände der ganzen Mannschaft legte … an Bord des Piratenschiffs wurde der Egalitarismus institutionalisiert.« Die Piraten stammten fast ausnahmslos aus armen Verhältnissen. Wie zu erwarten ist, hatten die meisten einige Erfahrung in der Seefahrt. Fast alle waren Männer; unter den 521 Piraten, die Rediker dokumentiert (von vielleicht 5000, die in der Blütezeit der Piraterie aktiv waren), sind nur zwei Frauen. Im Allgemeinen waren sie, wenn sie zu den Banditen stießen, frei von engeren Bindungen an die Mehrheitsgesellschaft: Ehefrauen oder Familie waren nicht erlaubt; die offzielle Politik verlor ihre Bedeutung; die offizielle Religion wurde dezidiert abgelehnt. Abgelehnt wurde die gesamte Struktur der herrschenden Gesellschaftsordnung, vornehmlich aber die Ideologie der stratifizierten, hierarchischen Zivilgesellschaft, die in Gesetze gefasst und durch Gesetze definiert war. An ihre Stelle setzten sie den erwähnten Egalitarismus und darauf basierende neue Gesetze. Innerhalb der Gemeinschaft bedeutete diese Ideologie, dass die Stimme jedes Banditen gleich viel Gewicht besaß und dass Beschlüsse gemeinsam getroffen wurden. Nach außen hin bedeutete sie, dass Piraten nicht auf Piraten schossen – die Seeräuber waren einander

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