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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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durch ein gewisses Gemeinschaftsbewusstseinverbunden, auch wenn nur wenige »Piratenallianzen« bezeugt sind. Das Gefühl, Mitglied einer besonderen Gemeinschaft zu sein, wurde vielleicht durch die Verwendung einer »Geheimsprache« verstärkt, eines Pidgin-Englisch, das sich vor allem durch einen Reichtum an Kraftausdrücken und einen begrenzten Wortschatz auszeichnete.
    Einer der interessantesten Aspekte dieser »neuen Gesellschaft« ist die Existenz, ja das Erfordernis eines schriftlichen Vertrags, »Artikel«
(»Articles«)
genannt, der die »Verfassung« der Gruppe bildete. Es war die Zeit, bevor es üblich wurde, sich unter der Grundlage der Staatsführung ein ausgeklügeltes Dokument vorzustellen und nicht göttliches Recht und/oder eine immerwährende Tradition (zum Beispiel die durch Jahrhunderte überlieferten »Rechte der Engländer«), und die Piraten orientierten sich an Geschäftsverträgen und legten wechselseitige Verpflichtungen, Führungsstrukturen, Verhaltensregeln und Wirtschaftsregeln fest. Diese Dokumente haben viele gemeinsame Elemente, so dass es möglich ist, sich ein Bild der »normalen« Verhältnisse zu machen.
    Die Befehlsgewalt lag bei der Bande. Das Versprechen, als Gruppe zusammenzuarbeiten, wurde durch Eid bekräftigt. Jeder Mann hatte eine Stimme, und es galt das Mehrheitsrecht. Jeder war der Autorität der Gemeinschaft unterworfen und hatte ihren in den »Artikeln« vorgeschriebenen Regeln zu gehorchen, auch der Anführer. Ja, »der Anführer war das Geschöpf seiner Mannschaft«. Die Führungsstruktur schloss Elemente der Gesetzgebung, der ausübenden Gewalt und der Rechtsprechung ein. Die Regeln wurden, wie bereits erwähnt, in einer Versammlung der Gemeinschaft, dem Rat, beschlossen. Dieser Rat war Exekutivorgan (d. h., über wichtige Entscheidungen geplante Aktionen betreffend wurde abgestimmt) und fungierte ebenfalls als Judikative, wenn er als Gericht zusammentrat, um über soziale oder disziplinarische Probleme zu befinden. Die oberste Führung, der Hauptmann, wurde vom Rat gewählt. Im Kampf oder in anderen Krisensituationen besaß er volle Befehlsgewalt, sonst hatte er durch Konsens, Überredung oder Überzeugung zu führen, denn der Rat konnte ihn jederzeit absetzen. Der andere gewählte Funktionär war der Quartiermeister. Er hatte die Interessen der Mannschaft wahrzunehmen. Insbesondere hatte er die Aufsicht über die Beute und sorgte für deren gerechte Verteilung. Neben dem »militärischen« Hauptmann war er eine Art »ziviler« Magistrat.
    Gerade in diesen beiden Ämtern sind die dominierenden Grundbedürfnisse der Bande treffend zusammengefasst: Beute zu machen und sie zu verteilen. Das Raubgut wurde in Anteile aufgeteilt (die Analogie zu Aktiengesellschaften ist nicht zu übersehen), die an die Mannschaft verteilt wurden. Kapitän und Quartiermeister erhielten aufgrund ihrer größeren Verantwortung mehr Anteile als der Rest – jeder von ihnen 1,5 bis 2 Anteile. Mehr, das heißt 1,25 bis 1,5 Anteile, ging auch an Männer mit besonderen Fähigkeiten wie die Kanoniere. Die übrigen Männer erhielten jeder einen Anteil. Der egalitäre Geist konkretisierte sich also in der Beuteverteilung. Alle waren an einem gemeinsamen »Risikounternehmen« beteiligt; keiner war Arbeiter, keiner war Herr.
    Selbstverständlich hatten die Gruppen der Gesetzlosen ihre Probleme mit Disziplin und Ordnung. Die meisten Männer waren aus dem stark strukturierten und disziplinierten Leben auf See geflohen, das die Traditionen der britischen Marine, aber auch der Handelsschifffahrt prägte, und nicht bereit, das verhasste Leben, das sie hinter sich gelassen hatten, wieder aufzunehmen. Mit der Disziplin nahm man es also nicht allzu genau. Das grundlegende Bestreben war, Gewalt innerhalb der Gemeinschaft zu verhindern, die grundlegende Methode, das Problem zu identifizieren und einer schnellen Lösung zuzuführen – durch Ausschluss aus der Gemeinschaft oder Tod. Auspeitschen war generell verboten. Die Peitsche, das schmerzhafteste Symbol der Brutalität von Kriegs- und Handelsmarine, war in der Piratengemeinschaft verpönt. Streit zwischen zwei Mitgliedern wurde durch ein Duell entschieden. Entstand ein Konflikt zwischen der Gruppe und einem Einzelnen, wurde dieser an einem schwer zugänglichen Ort ausgesetzt. Die Hinrichtung eines Gruppenmitglieds war selten; zur Anwendung kam sie nur im Fall von Verrat oder wenn versucht wurde, verweichlichende Elemente wie Frauen oder Knaben in die

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