Römer im Schatten der Geschichte
steht dahinter das Kalkül – vermutlich unbewusst auf eigene Erfahrungen und/oder Tradition gestützt –, dass zusätzliche Arbeit sich nicht auszahlt. Wozu also die Mühe? Aus der Perspektive des Armen ist es völlig akzeptabel zu arbeiten, bis die Grundbedürfnisse befriedigt sind, und dann den Kram hinzuwerfen. Diese Berechnung führt dann dazu, dass die Armen keine Riesenanstrengung unternehmen, um der Armut zu entkommen, mag dies auch bedeuten, die herrschende Ideologie hinzunehmen, die ihnen einen untergeordneten Platz in der Gesellschaft zuweist. Die »Faulheit« der Armen gründet in ihrer pragmatischen Einschätzung der Lebensmöglichkeiten.
Religion
Menschliche Gesellschaften tun sich schwer damit, sich selbst zu überwachen. Oft greift man auf das Übernatürliche als letzte Ordnungsinstanz zurück. Die der menschlichen Gemeinschaft von außen auferlegten Regeln gehen aus einer Macht der Mächte hervor, die ihnen auch Geltung verschafft und die, zumindest theoretisch, alle Spieler auf gleicher Ebene zum Spiel versammelt und überdies den passenden Grund dafür bereithält, warum einige Dinge bzw. Menschen erfolgreich sind und andere nicht. Es kann kaum überraschen, dass sich das Denken der Armen diese menschliche Konstante zu eigen macht, allerdings in einer sehr pragmatischen Art, denn die Armen sind den Eventualitäten des Lebens besonders ausgesetzt.
Ein Grundelement der religiösen Überzeugungen der Armen ist der »Wille der Götter«. Der »Wille« stärkt die überlieferten Werte sowie die Situation der sozialen Gruppe. Zumindest theoretisch legen die Götter Handlungsnormen fest und belohnen Frömmigkeit und Gehorsam, bestrafen aber Gottlosigkeit und Verstocktheit. Zu beobachten ist jedoch, dass die Götter diesen »Willen« – die Bestrafung der Irrenden und die Belohnung der Rechtschaffenen – nicht konsequent umsetzen. Angesichts dieser Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit stillt die Macht des Schicksals das Bedürfnis nach einer Erklärung. Diese Macht ist der Kontrolle nicht nur des Menschen, sondern auch der Götter entzogen; dem Fatum gegenüber sind beide machtlos. Das Schicksal steht gewissermaßen außerhalb der natürlichen Ordnung der Dinge, als der große Deuter des Rätsels, warum anscheinend so oft nicht das eintritt, was den Regeln des Spiels entsprechend eintreten sollte. Das Fatum, Fortuna, kommt ins Spiel, weil man sich einerseits in die Hand der Zukunft gibt und hinnimmt, wie sie die Karten verteilt, und andererseits der Überzeugung ist, dass sich gute und schlechte Erfahrungen im Leben letztlich die Waage halten. Ersteres dokumentiert »Der ängstliche Vater« (Babrios,
Fabeln
136), die Geschichte eines Vaters, der versucht, seinen Sohn vor dem drohenden Tod zu retten, indem er ihn einsperrt, nur um ihn durch einen Unfall in seinem Gefängnis zu verlieren. »Drum trage dein Schicksal voller Würde«, so die Moral der Geschichte, »und sinne nicht darüber nach: Denn dem, was sein muß, / wirst du nicht entgehn.« Ein Beispiel für Letzteres ist eine Fabel aus der
Collectio Augustana:
Ein paar Fischer zogen ein Schleppnetz. Da es schwer war, tanzten sie vor Freude, in der Vermutung, sie hätten einen großen Fang gemacht. Aber nachdem sie es an Land gezogen und gesehen hatten, dass es voll war von Steinen und Holz und nur wenige Fische enthielt, wurde ihnen das Herz schwer, und sie ärgerten sich nicht so sehr über das Geschehene als vielmehr, weil sie das Gegenteil erwartet hatten. Aber einer von ihnen, ein älterer Bursche, sagte: »Freunde, machen wir damit ein Ende. Kummer ist ja wohl die Schwester der Freude, und da wir vorher so viel Vergnügen hatten, müssen wir jetzt auch einigen Kummer leiden.«
Von einer fatalistischen Stimmung sind auch weite Teile der Sprichwortliteratur geprägt: »Leicht findet man das Glück, schwer lässt sichs halten«(Publilius Syrus, Sentenz 198); »Das Glück, das schmeichelt, will dein Herz umgarnen« (Sentenz 197); »Dem Schicksal reichts nicht, einmal nur zu schaden« (Sentenz 213).
Ein vielleicht unerwartetes Ergebnis dieser Rolle des Schicksals in der Welt der Armen ist die Ermutigung zur Selbständigkeit. Da auf die Götter kein Verlass ist und das Schicksal seine Launen hat, setzt man am besten auf die eigene harte Arbeit und Findigkeit. So lehrt die Fabel »Der Ochsenknecht und sein Wagen«:
Ein Ochsenknecht fuhr einmal über Land. / Da rutscht sein Wagen ab in eine tiefe Schlucht. / Statt
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