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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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fort. / Der Stier stand auf. Was sollte er noch tun? / Er wußt es nicht. Doch höhnte ihn die Maus: / »Nicht immer ist der Große stark. Denn Fälle gibt’s, / da ist es besser, klein und unscheinbar zu sein.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
112)
     
    Ein Aufstand, der den Spieß umkehren und die Mächtigen in Verdruss bringen konnte, war eine attraktive Vorstellung, wie dieser Orakelspruch aus Oxyrhynchos in Ägypten bezeugt:
     
    … Aufruhr und Krieg … und die Reichen werden bitter leiden. Ihr Hochmut wird zunichte gemacht werden und ihr Besitz ihnen genommen und anderen gegeben … (
P. Oxy.
XXXI 2554)
     
    Aufstände der Armen erregen die Aufmerksamkeit sowohl der Mächtigen als auch der Fürsprecher der Armen. Aber die meist uneingeschränkte Fähigkeit der Führungsschicht, sich wirksam gegen die aufsässigen Armen zur Wehr zu setzen, erklärt weitgehend, warum solche Revolten selten bleiben und warum es ihnen nie gelingt, die Herrschaft der Mächtigen durch die Vormacht der Armen zu ersetzen. Ein Aufstand wird in der Regel mit notwendiger, wahrscheinlich aber unnötiger Gewalt unterdrückt; oder die Rebellenführer entfremden sich den Armen. In jedem Fall aber kehrt man zum Status quo ante, der Unterwerfung, zurück. Das gilt für die römisch-griechische Welt so gut wie für jede andere. Wahrscheinlich lebte die Erinnerung an gescheiterte Revolten in der Kultur der Armen fort und schreckte von weiteren Rebellionen ab, so lange zumindest, bis die Verhältnisse hinsichtlich Auskommen und Überleben erneut völlig unerträglich wurden.
    Doch daneben besteht die andere Möglichkeit, dass die Armen an den Status quo als an die »große Kette des Daseins« glaubten, ihre Stellung in der Gesellschaft als richtig und gerecht verinnerlichten und ihre Rolle der Unterworfenen bereitwillig übernahmen. Zu anderer Zeit hat Charles Dickens dieser Mentalität in seiner Romanze
The Chimes (Silvesterglocken)
Ausdruck gegeben:
     
    »O lasst uns lieben unsern Herrn
    Und unser Tagwerk haben gern,
    Und lasst uns sein zufrieden
    Mit dem, was uns beschieden.«
     
    Oh let us love our occupations,
    Bless the squire and his relations,
    Live upon our daily rations,
    And always know our proper stations.
     
    Ich würde hier von bewusster Akzeptanz sprechen, von der Ausrichtung des Wertebewusstseins der Armen an dem der Elite. »Die Stimme des Geiers« belehrt über das Risiko, alles zu verlieren, wenn man sich über seinen Stand erhebt:
     
    Der Geier hatte eine fremde, scharfe Stimme. / Als er das Pferd vernahm, das freundlich wieherte, / da ahmte er es nach … / … so hatte weder er / die beßre Stimme, welche er begehrte, noch die frühre mehr. (Babrios,
Äsopische Fabeln
73)
     
    Jede mir bekannte soziale Erhebung in der Antike hatte ein doppeltes Ziel: den Schuldenerlass und die Neuverteilung von Land. Es sind dies im Grunde konservative Ziele – der Versuch einer Renaissance der gerechten Welt alter Zeit, in der jeder Land besaß und frei war von Abhängigkeit durch Verschuldung. Vermutlich bliebe in dieser neuen Welt die geltende hierarchische und hegemoniale Machtverteilung erhalten, mit dem einzigen Unterschied, dass jeder einen fairen Anteil an Ressourcen besäße. Mit anderen Worten, nicht die Machtstruktur als solche wird beklagt, sondern ihre ungerechten Erscheinungsformen. Diese Einstellung impliziert, dass die Armen ein System der Ausbeutung hinnahmen.
    Doch für die Armen war ebenso eine Welt vorstellbar, in der Zeichen und Wunder geschahen. Es gibt zwar keinen Beleg dafür, dass auch nur annähernd Vergleichbares zur Verfügung stand wie die Ideen der Menschenwürde des 18. Jahrhunderts, ihre explosive Rekonstruktion durch Marx und seine aggressive Darlegung der rechtmäßigen Erwartungen und Möglichkeiten der armen Arbeiterschaft; doch eine verkehrte Welt war der Vorstellung nicht fremd. In einer Satire Lukians beschreibt derarme Schuster Mikyllos, den die Parzen in den Hades riefen, seine Umgebung:
     
    Ich hingegen, der ich weder Äcker noch Haus und Hof, noch bares Geld, noch Geräte, noch Ehrenstellen noch Ahnenbilder auf der Welt zurückließ, ich war gleich reisefertig. Auf den ersten Wink der Atropos warf ich fröhlich meinen Schusterkneif und den unvollendeten Halbstiefel, den ich eben in Händen hatte, weg, sprang auf, barfuß wie ich war, ohne mir nur das Pech von den Händen zu waschen, und folgte, oder lief vielmehr voraus und sah nur immer vorwärts, weil ich nichts hinterließ, das mich

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