Römer im Schatten der Geschichte
gerade genug zum Überleben bleibt. Ich spreche natürlich von einem Verhältnis des Gleichgewichts: Verlangen die Reichen zu viel, können sie sich, wenn die Armen den Aufstand proben (ein zugegeben seltener Fall), selbst vernichten; oder sie können die Armen vernichten – sie vertreiben oder sie dem Hungertod ausliefern. In diesem Fall würden die Mächtigen gegen ihre eigenen Interessen verstoßen. Daraus ergibt sich, selbst unter der Bedingung der sehr asymmetrischen Kräfteverhältnisse, der Zustand des Gleichgewichts.
Angesichts dieser vertikalen Asymmetrie ist das Schlüsselinstrument der Armen zur Selbstbehauptung wie in den horizontalen Beziehungen die Wechselseitigkeit. Dieser Beziehung, die im Allgemeinen als Schirmherr-Schützling-Verhältnis ausgedrückt wird, liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Seite etwas besitzt, dessen die andere bedarf, so dass sie einander symbiotisch unterstützen. Die Armen haben den Mächtigen Achtung und Einkommen zu bieten, die Mächtigen besitzen die Mittel, den Armen in Zeiten der Not beizustehen, und sind verpflichtet, diese Mittel einzusetzen. Dass auch die Machtlosen Helfer der Mächtigen sein können, thematisiert die Fabel vom »Löwen und der Maus« aus der Perspektive der Armen:
Der Löwe hatte eine Maus erjagt und wollte sie verspeisen; / jedoch die Diebin, im Hause unbeliebt, / da sie ihr letztes Stündlein nahen fühlt, legt sich aufs Flehn. / Sie sagt: »Wohl Hirsche und gehörnte Stiere stehn dir an / als Beute auf der Jagd und Füllung für den Bauch; / jedoch das Mäusefleisch, das sollten deine Lippen nie / berühren. Darum bitt ich, schone mich, / vielleicht daß ich dir einst, obschon ich klein, von Nutzen bin!« / Da lacht der Löwe auf und läßt die Maus am Leben. / Und nicht viel später fiel er jungen Jägern in die Hand, / geriet ins Netz und ließ sich übertölpeln / und fing an seiner Rettung an zu zweifeln. / Da kam die Maus ausihrem heimlichen Versteck gesprungen / und nagt’ mit ihrem kleinen Zähnchen an dem festen Strick, / bis daß der Löwe frei war. Also gab sie Dank dafür, / daß vorher er das Lebenslicht ihr schonte. (Babrios,
Äsopische Fabeln
107)
Realität war, dass die Mächtigen wie gewöhnlich die besten Karten hatten. Die Schützlinge konnten ihr Anliegen vielleicht in moralische Begriffe fassen – in bester Verhandlungsposition waren sie nicht –, aber die zu erwartende Patronage war wenig verlässlich. Als erfolgreiche Strategie bewährten sich nicht selten unauffälliges Verhalten und Konfliktvermeidung – wie in der Fabel vom Fischer und den großen und kleinen Fischen:
Ein Fischer zog das Netz herauf, das jüngst / er ausgeworfen hatte; es war, man sah’s, ein reicher Fang. / Die kleinen von den Fischen schlüpften durch des Netzes Maschen / und tauchten unter in der Meeresflut, / die großen blieben hilflos auf des Nachens Boden. (Babrios,
Äsopische Fabeln
4)
Natürlich bestand immer die Möglichkeit, dass es zwischen den Armen und denen, die Macht über sie hatten, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Bei Aelian findet sich ein Beispiel aus hellenistischer Zeit, als die Armen am Ende ihrer Möglichkeiten waren und keinen anderen Rat mehr wussten als sich zu erheben:
Theokles und Thrasonides aus Korinth und Praxis aus Mitylene verachteten das Geld und zeigten sich großzügig, weil sie sahen, wie die Bürger Mangel litten, sie selber aber reich waren. So empfahlen sie auch anderen, den Mittellosen die Not der Armut zu erleichtern. Als sie mit ihren Überredungskünsten nichts erreichten, erließen sie wenigstens selber den Armen ihre Schulden. Dies war zwar ihren Finanzen nicht zuträglich, wohl aber ihrem Leben. Denn die, welchen die Schulden nicht erlassen worden waren, fielen mit den Waffen, die der Zorn ihnen lieh und – der zwingendste Grund – ihre aus der drückenden Lage geborene Not, über ihre Gläubiger her und töteten sie. (Älian,
Poikile historia
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Bunte Geschichten
14,24)
Den Fall eines weniger radikalen, doch immer noch ärgerlichen Widerstands zeigt die Fabel vom Kampf zwischen dem Stier und der Maus:
Einst biß die Maus den Stier. Dem tat das weh, drum stürzte er ihr nach. / Doch die kam ihm zuvor und schlüpfte in ein Loch. / Der Stier, der stand davor und stieß mit seinen Hörnern an die Wand, / bis er ermüdet in die Knie sank und einschlief / am Mauseloch. Die Maus jedoch guckt raus, / sie schleicht heran, sie beißt aufs neu und macht sich
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