Römer im Schatten der Geschichte
anzufassen, stand er müßig da / und betete zu Herakles, dem unter allen Göttern / als einzigem er wirklich Ehr und Altardienst erwies. / Da trat der Gott heran und sprach: »So greif doch in die Speichen / und stachle an die Ochsen! zu den Göttern bete erst, / wenn selbst du zugreifst! Sonst ist all dein Flehn vergebens!« (Babrios,
Äsopische Fabeln
20)
Diese Anschauung stützt die allgemein positive Einstellung zur Arbeit (in Maßen), die ich als die andere Seite der geistigen Welt der Armen dargestellt habe.
Wie erwähnt, ist ein wesentlicher Aspekt der Armut die untergeordnete Stellung und Abhängigkeit von Höhergestellten, die unter anderem auch einen Teil dessen, was die Armen hervorbringen, eigenen Zwecken zuführen. Die Armen sind also immer auch Unterworfene. Der Ursprung dieses Zustands wird häufig mythologisiert, manchmal historisch begründet, doch letztlich bleibt die Tatsache, dass das Leben nun einmal so ist, und die Armen verhalten sich dieser Realität entsprechend. Man könnte annehmen, dass sich mit diesem Zustand ein abgründiger Humor verband, und vielleicht wird ein Beispiel aus dem
Philogelos,
der einzigen Sammlung antiker Witze, diesem Wesenszug gerecht:
Ein Holzkopf wollte seinen Esel lehren, nicht mehr zu essen, und gab ihm keine Nahrung mehr. Als der Esel Hungers starb, sagte der Mann: »Welch ein Verlust! Gerade als er gelernt hatte, nicht zu essen, ist er gestorben.«
(Philogelos)
Die fundamentale Tatsache der Unterwerfung bedeutet, dass die Produktion der Armen in gewissem Maß immer den Mächtigen ausgeliefert ist. Die Fabel über den wütenden Löwen hält diese Wahrheit fest:
Der Leu war in Erregung. Ferne aus dem Wald / sah ihn der Hirsch und sprach: O weh, wir Armen! / Was wird er nun in seiner Wut uns antun, da wir ihn, / selbst wenn er bei Verstand ist, nicht ertragen können?« (Babrios,
Äsopische Fabeln
90)
Etwas von der Frustration der Armen gegenüber den Reichen legt Lukian einer der Figuren seiner
Saturnalia
in den Mund, die den Titanen Kronos bittet, das Goldenen Zeitalter zu erneuern, denn:
… die Menschen dieser Zeit seien selbst golden gewesen, und die Armut habe sich vor ihnen gar nicht sehen lassen dürfen. Wir hingegen sind nicht einmal von Blei, sondern etwas noch Schlechteres; die meisten von uns müssen ihr Stückchen Brot sauer verdienen, und im ganzen ist bei uns nichts als Hunger und Kummer, Ach und Weh über unser Schicksal, und ewige Verlegenheit, wo wir das Unentbehrlichste hernehmen sollen. Und gleichwohl kannst du mir glauben, daß wir uns weit weniger beklagen würden, wenn wir nicht sehen müßten, wie glücklich die Reichen sind, sie, die mit so vielem Silber und Gold im Kasten, im Besitz so vieler Kleider, so vieler Sklaven, Equipagen, Landgüter und ganzer Dorfschaften, kurz im allergrößten Überfluß so wenig daran denken, uns etwas davon mitzuteilen, daß sie Leute unseres Schlages nicht einmal ihres Anblicks würdig achten.
Dies, lieber Kronos, ist es eigentlich, was mich am meisten verdrießt. Wir finden es ganz unerträglich, daß der eine nichts zu tun haben soll als, auf Purpurbetten ausgestreckt, die langsame Verdauung einer zu reichlichen Mahlzeit abzuwarten, seinem Leibe gütlich zu tun, sich Komplimente über seine Glückseligkeit machen zu lassen und alle Tage im Jahre Feiertag zu haben: während wir anderen sogar im Traume mit nichts anderem umgehen, als wo vier Obolen herkommen sollen, um uns am nächsten Tage mit einem Magen voll trocken Brot oder Gerstenbrei und einer Handvoll Kresse oder Aschlauch oder einem Paar Zwiebeln zum Beigericht, wieder schlafen zu legen. (
Saturnalische Briefe,
Bd. 2, S. 346)
Als Unterworfene hatten die Armen dennoch ein Selbstwertgefühl und verlangten danach, anständig behandelt zu werden, wie eine Episode aus den
Satyrica
zeigt. Korax ist als Träger angestellt worden, die typische Arbeit des Handlangers, und betont in markigen Worten seine Würde als Mensch:
»Hallo«, rief er, »glaubt ihr vielleicht, ich sei ein Packesel oder ein Frachter für Steine? Als Mensch habe ich Dienst genommen, nicht als Gaul. Und ich bin nicht weniger ein freier Mann als ihr, mag mich mein Vater auch als armen Schlucker hinterlassen haben.« (
Satyrica
117)
Doch im Rahmen der Möglichkeit absoluter Macht über die Armen hat sich ein
modus vivendi
herausgebildet, der dafür sorgt, dass die Forderungen der Mächtigen, soweit machbar, erfüllt werden, während den Armen
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