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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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Berührung kamen und einander beeinflussten, ist eine andere Frage und schwierig zu beantworten. Eher hat, insgesamt betrachtet, die hohe Philosophie aus der Quelle volkstümlichen Denkens geschöpft, als dass Ideen von Bedeutung und in größerer Zahl von dort bis zum Mann auf der Straße durchgesickert wären. Für einen solchen »Einfluss« fehlen Beweise, und es ist sehr schwer vorstellbar, wie er hätte stattfinden können. Leichter tut man sich dagegen mit der Vorstellung, dass »Volksweisheiten« in den philosophischen Diskurs Eingang fanden.
    Die Grundwerte der Armen innerhalb ihrer Welt sind komplex. Unter dem allgegenwärtigen Druck des Überlebenskampfes setzen diese Werte in doppelter und konträrer Hinsicht auf »gute Beziehungen«: erstens auf die Notwendigkeit, ein Lebensumfeld zu schaffen, in dem, sollte es zum Schlimmsten kommen, die Zusammenarbeit mit anderen zum Zweck derNothilfe gesichert ist. In einer gewissen Spannung dazu steht zweitens der Druck, sich der wichtigsten Aktivität zu widmen, der Sorge für die Bedürfnisse der grundlegenden sozialen Einheit – in der Regel die Familie –, auch wenn dies bedeuten könnte, zum Schaden der Mitmenschen zu wirken. Diese Beziehungspflege funktioniert einerseits nach dem Prinzip positiver Reziprozität. Wechselseitige Verpflichtungen, seien sie horizontaler oder vertikaler Art (im typischen Fall die Schirmherr-Schützling-Variante), sind der Schlüssel zur »Sozialversicherung« für schlechte Zeiten. Auf dieser Makro-Ebene treten die Familien zueinander in Beziehung, um in schwierigen Zeiten gegenseitiger Hilfe sicher zu sein. Zum positiven Verhalten in diesem Kontext gehören Freundschaft, Tapferkeit, Schädigung des Feindes, Gastfreundschaft, Gerechtigkeit, Redlichkeit (eingeschlossen Wahrhaftigkeit), Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit gegenüber denen, die Not leiden. In den Fabeln sind diese Eigenschaften ein häufiges Thema, oft unter eingehender Behandlung von Doppelbödigkeiten.
    Auf der Mikro-Ebene benutzen die Mitglieder einer Familie die Verwandtschaft als Basis eines komplizierten Netzwerks wechselseitiger Erwartungen in einer Umgebung, in der jeder selbstverständlich und unausgesprochen unter dem Anspruch steht, diese oder jene Hilfe zu leisten, ohne dafür einen besonderen Lohn zu erhalten. Interessant ist, dass diese entscheidenden innerfamiliären Beziehungen in der geistigen Welt der Armen keine größere Rolle spielen. Den Fabeln und Sprichwörtern nach zu schließen werden Verhältnisse wie das zwischen Mann und Frau oder Eltern und Kind oder die ökonomische Seite des Hauhalts nicht zum Gegenstand kritischer Überlegungen, denn diese Themen sind im Denken des Durchschnittsrömers, soweit überliefert, kaum je präsent. Diese Seiten ihrer Existenz scheinen festen Regeln unterworfen, so dass Konflikte der Art, wie sie in Fabeln und Sprichwörtern gelöst werden, nicht auftreten. Bedauerlicherweise hilft uns also die Volksweisheit nicht, die Armen hinsichtlich dieser Aspekte ihres Leben zu verstehen.
    Nun zur anderen Seite der Beziehungspflege: Sie findet Ausdruck in Formen des Konflikts. Denn das arme, irdische Leben ist voll Misserfolg und Zurückweisung und eine solche Umgebung ein Nährboden für Streit. Die Welt der Fabeln ist eine Bühne ständiger Gefahren und Konflikte, ein Umstand, der interessanterweise in der Sekundärliteratur bei weitemnicht die erwartete Aufmerksamkeit gefunden hat, denn in der Primärforschung über die Armen – genauer, meistens der Bauern – wird überall das von Wettbewerb und Konkurrenz geprägte Klima des Alltagslebens betont. Wo soziale Einheiten darum kämpfen, ihr Überlebenspotenzial zu maximieren, grassiert unsoziales Verhalten. Ein durchgehendes Motiv der Volksliteratur ist der Umgang mit negativen Eigenschaften wie Arroganz, Schmeichelei, Unzuverlässigkeit, Starrsinn, Missmut, Feigheit (das Thema vieler Sprichwörter), Unehrlichkeit, Geiz, Verleumdung, Eitelkeit und ganz allgemein mit untragbarem Sozialverhalten.
    Unter den Armen herrscht vor allem der Wettbewerb – um Ehre und Status ebenso wie um materielle Vorteile – im Verein mit seinen Genossen Stolz, Neid und Rache. Die Welt der Fabel ist voll davon. In »Die Hähne und das Rebhuhn« zum Beispiel liegen »Gleiche« (die Hähne) ebenso mit sich selbst im Streit wie mit den »Anderen« (den Rebhühnern):
     
    Jemand hatte Hähne auf dem Hof, und als einmal ein zahmes Rebhuhn zum Verkauf stand, kaufte er es und brachte es nach

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