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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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zurückgerufen oder nur den Kopf zu drehen gereizt hätte. Auch finde ich wahrlich bei euch alles recht schön, und besonders ist die hier eingeführte Gleichheit sehr nach meinem Geschmack. Vermutlich wird hier kein Schuldner mehr von seinen Gläubigern angefochten; hoffentlich hat man bei euch keine Steuern und Abgaben mehr zu bezahlen, und, was die Hauptsache ist, ich bin, denke ich, hier sicher, weder im Winter mehr zu frieren, noch krank zu werden, noch von den Mächtigen Stockschläge zu bekommen. Hier ist eitel Friede und eine völlig umgekehrte Welt; wir armen Leute lachen hier, die Reichen jammern und heulen. (
Die Überfahrt
, Bd. 2, S. 226 f.)
     
    Mehr als Rache aber suchten die Armen Gerechtigkeit. Wenn nur jeder, allen voran die Reichen, vorschriftsgemäß leben würde, so ihre Überzeugung, dann gäbe es eine tragfeste, überlebensgerechte Umgebung, in der sie ihre Zeremonien feiern und zahlen könnten, was sie schuldig sind. Die Fabel vom »Konzil« des Löwen, der ein gerechter und milder König ist und Starke wie Schwache gleichermaßen anhört, schildert den Erwartungshorizont der Armen – eine glückliche Welt, in der die Mächtigen gezwungen sind, ihre Macht in angemessener Form auszuüben. Der Friede im Reich des Löwen bleibt erhalten und der »scheue Hase« sagt: »Oh, ich sehnte diesen Tag / schon längst herbei, der auch die Rücksichtslosen / vor Schwachen Furcht läßt fühlen!« (Babrios,
Äsopische Fabeln
102).
    Daneben gibt es einige Fabeln, die den Reichen nahelegen, die Armen zu scheren, doch nicht zu schinden. So – neben der unten zitierten über die Witwe und ihr Schaf – auch die folgende:
     
    Den Futtervorrat für sein Pferd verkaufte / ein Pferdepfleger einem Wirt und zechte drauf den ganzen Abend, / dann striegelte und kämmte er das Pferdden ganzen Tag. / Das aber sprach: »Wenn es dir ernst ist, daß ich gut ausseh, / dann darfst du, was mich nährt, auch nicht verkaufen.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
83)
     
    Das Fehlen praktischer Alternativen zum Status quo aber hatte zur Folge, dass die Hinnahme des herrschenden Weltbilds weit leichter fiel, als wir es uns heute vorstellen können. So kam es selten zu lokalem Aufruhr, und Revolten, die das Gesamtreich umfasst hätten, fehlen ganz, denn die Armen verlangten nicht den Umsturz der geltenden Ordnung, sondern – wenn überhaupt – deren Reform. Doch diese Reform blieb aus, wie es die Armen schon immer vermutet hatten.
    Mit einer Definition der Gerechtigkeit, nach der »jedem das Seine« gebührt, nähert man sich dem Standpunkt der Armen. Die Mächtigen können mächtig bleiben, müssen aber auch den Armen »das Ihre« zugestehen, nämlich die elementare Möglichkeit, ihr Leben ohne ein Maß an Ausbeutung zuzubringen, das ihre soziale Existenz und dieses Leben selbst gefährdet. Philostrat legt Apollonios von Tyana einen solchen Rat in den Mund, gerichtet an Kaiser Vespasian: »Vom Reichtum aber mache den besten Gebrauch, indem du den Bedürftigen beistehst und den Begüterten Sicherheit für ihren Besitz verschaffst!« (
Das Leben des Apollonios von Tyana
5,36).
    Die Fabeln sind voll von Lektionen über Gerechtigkeit. So auch »Das gepeinigte Schaf«:
     
    In ihrem Haus hielt eine Witwe einst ein Schaf, / und weil von ihm sie immer mehr an Wolle haben wollte, / schor sie drauflos und stutzte ihm das Fell bis hin / zum Fleisch, so daß es Schmerz empfand. / Und weil’s ihm wehtat, schrie das Schaf: »So mach mich nicht zuschanden! / Was kannst an meinem Blut du schon gewinnen? / Wenn aber, Herrin, dir an meinem Fleisch gelegen ist, / dann gibt’s den Metzger, der mit einem Hieb mich schlachtet! / Doch legst du Wert auf Wolle und auf Schur und nicht aufs Fleisch, / so ist’s der Scherer, der mich scheren und doch leben lassen wird.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
51)
     
    Andere Fabeln behandeln ähnliche Themen: »Nahe dem Gesetz, aber fern der Gerechtigkeit« (menschliche Gerechtigkeit erreicht die Armen oft nicht); »Der Ritter und sein Pferd« (ein Aufruf gegen willkürlicheAusbeutung); »Zweierlei Maß der Gerechtigkeit« und »Die Mühlen der Götter mahlen langsam« (sei fair zu deinen Mitmenschen, wenn du willst, dass die Götter fair zu dir sind). Auch die Sprichwörter verraten viel Skepsis gegenüber den Rechtssystemen, obwohl sie die Gerechtigkeit betonen. Die Armen sind wie die Schwalben – nahe den Gerichtshöfen, doch fern von ihrem Schutz:
     
    Die braune Schwalbe, die gerne bei den Menschen wohnt, /

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