Roemisches Roulette
sich. Sie sah Nick an, und einen Augenblick lang fragte ich mich, ob ich sie wütend gemacht hatte. Doch schon im nächsten Moment erlangte sie ihre Fassung zurück. Sie glättete ihr perfekt geschnittenes kinnlanges Haar und sagte: “Das ist überhaupt nichts anderes. Damals wie heute geht es um Kontrolle. Und ich weiß, wie man die Dinge kontrolliert.”
Nora baute ihre “Kommandozentrale” in der Küche auf: einen Laptop, ihre zwei Handys und unser Telefon. Auf dem Computer rief sie ihre umfangreiche Kontaktliste auf und selektierte sämtliche Medienanstalten Chicagos. Dann telefonierte sie die Liste ab. Peter und Nick schauten ab und zu vorbei, schalteten sich aber nicht ein. Sie überließen allein Nora die Arbeit, der Hohepriesterin der Presse.
“Dee Dee, Schätzchen”, flötete sie in den Hörer, als sie mit einem der zahlreichen Journalisten sprach. “Ich bin es, Nora Blakely.” Sie machte eine Pause und lächelte. “Richtig. Wir sind in der Stadt, um unseren Sohn Nick zu besuchen.” Sie hielt erneut inne, ihr Gesicht war vor Konzentration angespannt. “Ja, das ist alles eine große Verwechslung.” Ungefähr eine Minute sprach sie ununterbrochen. “Genauso ist es. In ein, zwei Tagen, schätze ich. Ich rufe dich wieder an, wenn ich Genaueres weiß.”
Ich stand an die Arbeitsplatte gelehnt und beobachtete sie, während ich einen Kräutertee trank, der nach Rasen schmeckte. “Was ist in ein, zwei Tagen?”
“Die Pressekonferenz. Wie gesagt: Kontrolle, Kontrolle und nochmals Kontrolle.” Sie nahm eines der Handys und blätterte hochkonzentriert im Namensverzeichnis.
Ich verschluckte mich an dem Tee. “Die Pressekonferenz?”
In dem Moment kam Nick in die Küche und legte mir einen Arm um die Schultern. Mit der anderen Hand streichelte er mir zärtlich über den Bauch. “Was ist denn hier los, Ladies?”
“Deine Mom will eine Pressekonferenz geben.”
Nick runzelte die Stirn. “Mom, glaubst du wirklich, dass das nötig ist?”
“Ich glaube es nicht nur, ich weiß es”, erwiderte sie und nahm den Hörer unseres Festnetztelefons in die Hand.
“Eine Sekunde, warte mal”, meinte Nick.
Seufzend legte sie den Hörer wieder hin.
“Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist”, wandte er ein, doch ich hörte die Unsicherheit in seiner Stimme.
Nora lehnte sich zurück und faltete die Hände im Schoß, als müsste sie ihre Finger irgendwie im Zaum halten. “Der einzige Weg, Nick. Wenn ihr nicht eure eigene Botschaft verkündet, und zwar schnell, werden die Medien das für euch übernehmen.”
“Ich weiß nicht recht”, überlegte er laut. “Ich will nicht, dass Rachel irgendetwas tun muss, das ihr oder dem Baby schaden könnte.”
“Das hat ja auch schon die Mordanklage unbeschadet überstanden”, versuchte ich einen Witz zu machen. Niemand lachte. Ich räusperte mich. “Wir müssen vorher jeden Schritt mit unserem Anwalt absprechen.”
“Auf keinen Fall”, widersprach Nora. “Er wird nie zustimmen.”
“Dann sollten wir es auch nicht tun.”
Nora schüttelte den Kopf. “Du verstehst das nicht, Rachel. Wenn ihr eure Sicht der Dinge nicht an die Öffentlichkeit bringt, werden andere Leute das ausnutzen.”
“Ich habe keine Botschaft.”
Noras Blick wurde hart. “Ich will doch stark hoffen, eure Botschaft ist, dass ihr dieses Mädchen nicht getötet habt.”
Dieses Mädchen.
“Das habe ich auch nicht”, sagte ich.
“Das haben wir auch nicht”, meinte Nick.
“Gut”, erwiderte Nora. “Dann ist
das
die Botschaft, die so schnell wie möglich an die Medien rausgehen muss. Andernfalls wird die Polizei
ihre
Version publik machen. Und ich denke, wir alle wissen, wie die lautet, nicht wahr?”
Nick und ich schwiegen. Er drückte solidarisch meine Schulter. Oder war es entschuldigend?
“Rachel, glaub mir”, fuhr Nora fort. “Euer Anwalt hat die Aufgabe, euch zu verteidigen. Und ich habe gehört, dass er seine Sache ziemlich gut macht. Aber was Anwälte in einem Strafprozess vor allem wollen, ist, ihre Mandanten ruhigzustellen.”
“Genau. Damit sie nicht alles vermasseln.”
“Das stimmt zwar. Aber du wirst es nicht vermasseln. Und Nick auch nicht.” Sie verschränkte die Arme. “Wir werden eine kurze Pressekonferenz geben. Vorher erkläre ich euch genau, was ihr sagen sollt – sowohl in euren Stellungnahmen als auch bei der Beantwortung einiger weniger Fragen. Mehr nicht. Mehr müsst ihr nicht tun. Und danach werden wir im richtigen Moment die
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