Roemisches Roulette
gebräuntes Politikergesicht wurde von sorgfältig frisiertem grauen Haar eingerahmt. Auf der Türschwelle blieb er kurz stehen, gab mir einen Kuss auf die Wange und murmelte: “Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft.”
“Danke”, erwiderte ich. Ich wollte sie gerade nach ihrem Gepäck fragen und ihnen etwas zu trinken anbieten, da fiel mir ein, wie Nora und Peter die Dinge handhabten – besonders Nora. Sie kam nicht zu Besuch, sie kam über einen. Jedes Mal, wenn sie in der Vergangenheit bei uns gewesen waren, hatte Nora uns das Zepter aus der Hand genommen, kaum dass sie in der Wohnung stand. So hatten wir am Ende stets das Gefühl gehabt, nicht sie, sondern wir wären zu Besuch.
“Nick?”, rief Nora und warf ihre Handschuhe auf den Flurtisch neben Nicks Schlüsselbund. Eigentlich wollt Nick sich nicht extra freinehmen. Er wollte ganz normal in die Praxis gehen, so als wären wir nicht des Mordes an Kit angeklagt. Doch beim Telefonat mit seiner Mutter am Abend zuvor hatte sie ihm diesen Zahn schnell gezogen. “Unternimm nichts, ehe wir da sind”, sagte sie und Nick lenkte ein.
Nora legte ihren Wollmantel ab und ging zielstrebig auf unseren Garderobenschrank zu, als wäre sie schon hundertmal in dem Appartement gewesen. “Nick!”, rief sie abermals und wies ihren Mann mit einer Geste an, ihr seinen Mantel zu reichen.
“Mom, Dad!”, begrüßte Nick sie, als er ins Foyer kam. Er nahm sie beide fest in den Arm und kniff dabei die Augen zusammen, wodurch er wie ein kleiner Junge wirkte, der erleichtert war, endlich gerettet zu werden.
“Kommt, ich zeige euch euer Zimmer”, sagte ich. “Ihr wollt euch doch sicher ein wenig frisch machen.”
“Papperlapapp!”, entgegnete Nora.
Ich musste zugeben, dass die beiden tipptopp gekleidet waren und so erholt aussahen, als hätten sie nicht erst am Vortag von der Mordanklage gegen ihren Sohn und ihre Schwiegertochter erfahren. Sie kümmerten sich um unsere Kaution, legten ihr Leben und die Karrieren in Philadelphia auf Eis und setzten sich schnurstracks in den nächsten Flieger nach Chicago.
Angesichts ihrer frischen, makellosen Erscheinung fühlte ich mich schludrig und erschöpft. Die Zukunft glich einer gähnenden, Furcht erregenden Schlucht, und ich hatte die halbe Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht, ob ich mein Kind wohl im Gefängnis würde zur Welt bringen müssen.
“Wir müssen reden”, meinte Nora.
“Genau, mein Sohn”, bekräftigte Peter, “wir müssen uns eine Strategie überlegen.”
Nora ging ins Wohnzimmer, ohne auch nur ein Wort über unser neues Zuhause zu verlieren oder sich überhaupt einmal umzusehen. Trotz ihrer Eigenarten war ich erleichtert, die beiden hier zu haben. In den vielen Jahren, die sie nun schon im Politikzirkus von Philadelphia verbrachten, hatten die Blakelys mehr als nur einen Sturm überstanden.
Andererseits waren sie auch noch nie des Mordes angeklagt gewesen.
“Wer weiß Bescheid?”, fragte Nora.
Ich sah fragend zwischen Nick und seiner Mutter hin und her.
“Wer weiß von der Mordanklage?”, wiederholte sie ungeduldig.
“Na ja, jeder, vermute ich.”
“Regel Nummer 1: Vermute niemals etwas.”
“Haben euch die Zeitungen angerufen?”, mischte sich nun Peter ein. Er saß zurückgelehnt auf dem Sofa, hatte ein Bein lässig über das andere geschlagen und kraulte sich an seinem imaginären Bart.
“Eine oder zwei”, antwortete ich.
“Gut, das bedeutet, die Nachricht hat noch nicht eingeschlagen”, folgerte Nora.
Peter nickte. “Wir haben die Sache immer noch unter Kontrolle.”
“Geht nicht ans Telefon”, fuhr Nora fort. “Ich werde das übernehmen.” Sie wandte sich an mich. “Weiter. Wer weiß alles von deiner Schwangerschaft?”
“Niemand außer meinem Arzt. Es ist ja noch sehr früh.” Im Zeitraffer ließ ich die letzten zwei Tage Revue passieren. “Na ja, die Polizisten wissen davon und der Detective.”
Nora und Peter wirkten enttäuscht.
“Erzähl es von jetzt an keiner Menschenseele”, warnte Nora mich. “Wir werden es öffentlich machen, wenn es nötig ist. Die Öffentlichkeit liebt schwangere Frauen.”
Peter lächelte sie an. “Das stimmt. Während meiner Kampagne um den Posten als vereidigter Rechnungsprüfer wurde Nora mit Nick schwanger. Ich glaube, das war am Ende der entscheidende Faktor bei meinem Sieg.”
“Aber wir befinden uns nicht im Wettstreit um irgendein Amt”, entgegnete ich. “Das ist etwas anderes.”
Noras Gesicht verdunkelte
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