Röslein stach - Die Arena-Thriller
hat Baby jedenfalls gesagt, der kennt sich aus mit Bildern, ist ja selbst so ein verhinderter Kleckser. Und der kennt auch den Typen persönlich. Er soll in »der Szene«, was immer das ist, ein etablierter Maler sein, aber sonst ein arroganter Arsch.
Andi und Volker finden es gar nicht so witzig, dass der einfach in das freie Zimmer eingezogen ist, denn eigentlich hat Andi es schon seiner Freundin versprochen. Die ist jetzt sauer auf Andi, aber er kann ja nichts dafür. Wir konnten gar nichts dagegen machen, denn es ist der Typ, dem das Haus gehört.
Was will der in unserer WG? Der hat doch so viel Kohle, der könnte sich ein großes Haus kaufen oder eine riesige Wohnung in der Stadt mieten. Ist er sentimental und hängt an seinem Elternhaus? Er ist frisch geschieden, vielleicht ist das die Midlifecrisis. Hoffentlich fängt er nicht an und motzt, wenn wir laut sind oder einen Joint rauchen. Wenn’s unerträglich wird, zieh ich halt aus.
Ach ja, er heißt Leopold (was für ein Scheißname!). Für sein Alter sieht er wirklich noch recht passabel aus. Und er hat so was an sich… es ist schwer zu beschreiben, aber wenn der einen ansieht… Mir wird dann ganz mau in der Birne.
Antonia war irritiert. Nachdem ihre Anwesenheit in der Küche nicht sonderlich gefragt war, hatte sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Das schwarze Notizbuch von Frau Riefenstahl lag auf ihrem Schreibtisch, Robert musste es dort deponiert haben. Sie schaute noch einmal auf das Datum des Geschriebenen. April 1991. Frau Riefenstahl war vierundneunzig Jahre alt geworden. Hatte sie vor zwanzig Jahren, mit vierundsiebzig, in einer WG gewohnt, Joints geraucht und sich für einen vierzigjährigen Kunstprofessor interessiert? Und würde eine vierundsiebzigjährige Dame wohl Worte wie Scheißname, arroganter Arsch oder mau in der Birne benutzen? Antonia hatte Frau Riefenstahl zwar nicht gekannt und es mochte ja Senioren geben, die noch recht locker drauf waren, aber eins war sonnenklar: So wenig, wie dieses Tagebuch Robert gehörte, so wenig stammte es von Frau Riefenstahl. Ein Verdacht beschlich sie. Hatte nicht Robert gestern, am Grabstein, erzählt, dass Frau Riefenstahls Enkelin hier in diesem Haus gewohnt hatte? Im Dachzimmer, wo sie angeblich ermordet worden war. Es könnte ihr Tagebuch sein. Und außerdem – wie hatte Antonia nur so doof sein können? – wäre Frau Riefenstahls Tagebuch doch nicht in einer solchen Handschrift geschrieben worden. Menschen, die so alt waren wie die eben Verstorbene, hatten doch eine ganz andere Schrift! Sütterlin oder Altdeutsch oder was immer es früher gegeben hatte. Höchstwahrscheinlich hätte Antonia dann kaum ein Wort davon lesen können. Sie schüttelte den Kopf, erschüttert über ihre eigene Dummheit. Schon neulich, als ihr das Buch in Roberts Zimmer heruntergefallen war, hätte sie an der Schrift erkennen müssen, dass es auch nicht von Robert stammen konnte. Sie hatte seine Schrift auf den Einkaufszetteln am Kühlschrank gesehen: viel schlampiger, eine typische Jungsschrift eben. Diese dagegen war rund und hing leicht nach links, sie war deutlich und gut lesbar.
Wie hieß Frau Riefenstahls Enkelin noch gleich? Silvia? Nein, Sonja. Sonja Kluge, sie erinnerte sich wieder an die Inschrift auf dem Grabstein und auch an das Todesdatum, den 28. Juli 1991. Sie hatte es sich gemerkt, weil sie noch gedacht hatte, dass es nun fast auf den Tag zwanzig Jahre her war, dass Sonja ermordet worden war. Sie musste das Tagebuch also wenige Monate vor ihrem Tod begonnen haben. Aber wie war es zu Frau Riefenstahl gekommen? Hatte es jemand aus ihrer WG vor dem Zugriff der Polizei gerettet und es Sonjas Großmutter gegeben? Oder Sonja hatte es irgendwo versteckt gehabt. Das würde Antonia wohl nie erfahren. Fast ehrfürchtig blätterte sie ein paar Seiten weiter, ihr Herz schlug vor Aufregung ein paar Takte schneller. Man hatte ja schließlich nicht jeden Tag das Tagebuch einer Ermordeten in der Hand.
23. Mai 1991
Gestern hat er mir meine Zeichnungen zurückgegeben und gemeint, ich wäre talentierter als mancher seiner Studenten! Man kann sich vorstellen, wie happy ich war! Natürlich werde ich weiter BWL studieren, ein Dasein als Künstlerin, nein, das ist nichts für mich. Aber dass er meine Zeichnungen mag! Er, der große Meister!
Vielleicht verbirgt sich dahinter eine versteckte Botschaft: Nämlich die, dass er mich mag! Das wünsche ich mir so sehr. Ich finde ihn irre sexy! Was er alles weiß! Gegen ihn kommen
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