Röslein stach - Die Arena-Thriller
wie Steinhauer mit gesenktem Kopf und von Polizisten umringt davonging. Die Kehle durchgeschnitten. Wie bei Sarah. Und diesem Mann hatte sie vertraut, hatte ihm von ihrem unbekannten Vater erzählt und von Ralph und ihrer Mutter. Sie hatte von ihm Ratschläge und Trost angenommen – und das Fahrrad. Unglaublich! Sie bekam nachträglich einen Schrecken, wenn sie darüber nachdachte, dass sie mit ihm allein im Haus Kaffee getrunken hatte! Kaffee mit einem Mörder! Aber warum war er hier, ausgerechnet hier? Stimmte die abgedroschene Volksweisheit vielleicht doch, wonach es einen Täter an den Tatort zurücktrieb?
26.
»Es ist mein Haus und mein Garten«, erklärte Steinhauer ruhig. »Das Haus hat schon immer meiner Familie gehört, es wurde nie verkauft. Mein Galerist hat es für mich verwaltet und ist den Mietern gegenüber als Besitzer in Erscheinung getreten. Es sollte ja niemand verschreckt werden.«
»Und deshalb haben Sie sich den jungen Leuten auch als ›Herr Petri‹ vorgestellt?«, ergänzte Petra. Sie hatte Steinhauer die Handschellen abgenommen und ihn ins Vernehmungszimmer bringen lassen.
»Als ich sah, wie verkommen der Garten war, musste ich etwas unternehmen. Ich konnte das Grundstück nicht einfach so verfallen lassen.«
»Warum haben Sie mir Ihre Gärtnertätigkeit verschwiegen, als Sie letzte Woche bei mir waren?«, fragte Petra streng.
»Weil Sie sicherlich kein Verständnis dafür gehabt hätten.«
Damit hatte er recht. War der Mann eigentlich so unverschämt oder so naiv oder beides?
»Herr Steinhauer, sagt Ihnen der Name Rana Masaad etwas?«
Petra hatte sich vor der Befragung beim Kollegen Bruckner von der Vermisstenstelle über das Mädchen, dessen Fahndungsplakat im Flur hing, informiert. Sie hatte vor zwei Wochen das Landeskrankenhaus Wunstorf verlassen. Von einer »Flucht« konnte man genau genommen nicht sprechen, denn Rana Masaad war nicht, wie Steinhauer, im Maßregelvollzug untergebracht gewesen, sondern in der »normalen« psychiatrischen Abteilung. Borderline-Persönlichkeitsstörung lautete ihre Diagnose. Sie litt unter starken Stimmungsschwankungen, außerdem hatte sie Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen und neigte zu selbstverletzendem Handeln, dem sogenannten Ritzen. Sie war im Januar auf Wunsch ihrer Eltern in die Klinik eingewiesen worden, nachdem sie ihren dritten Selbstmordversuch unternommen hatte. Im Mai dieses Jahres war sie achtzehn geworden, sie hätte also die Klinik auch regulär verlassen können. Sie ging aber einfach, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Ihr Fehlen wurde am Morgen nach Steinhauers Entlassung bemerkt. Die Klinikleitung alarmierte sofort die Eltern. Die Masaads stammten aus dem Iran, lebten aber schon seit zwanzig Jahren in Hannover-Herrenhausen in gut situierten Verhältnissen. Als Rana nicht zu Hause auftauchte, machten sich die Eltern große Sorgen und meldeten ihre Tochter als vermisst.
Als Steinhauer ihren Namen hörte, seufzte er tief und nickte. »Ich kann nichts dafür«, sagte er mit treuherzigem Augenaufschlag. »Sie ist überzeugt davon, dass ich ihr Seelenverwandter bin. Das war schon in der Klinik so, sie ist mir vom ersten Moment an nachgelaufen wie ein kleiner Hund. Wir waren viel zusammen im Garten. Ich gebe zu, dass ich sie mochte – zumindest, solange sie regelmäßig ihre Medikamente nahm. Ohne die war sie launisch, hysterisch und unausstehlich. Sie war schockiert, als ich ihr von meiner bevorstehenden Entlassung berichtet habe. Hat rumgeheult und gemeint, ohne mich würde sie die Klinik nicht ertragen. Dummerweise hatte ich ihr Wochen zuvor einmal von der Villa erzählt. Dort ist sie letzte Woche aufgetaucht. Ich habe sie weggeschickt. Aber sie hat sich hinter meinem Rücken bei den jungen Leuten mit einer falschen Identität eingeschlichen…«
Da ist sie ja nicht die Einzige, erkannte Petra und hatte Mühe, ihr Erstaunen zu verbergen. Davon hatten die Bewohner kein Sterbenswörtchen gesagt. »Wie bitte, sie war in der Villa?«
»Ja. Sie hat sich als Türkin ausgegeben und behauptet, ihre Familie wolle sie in die Türkei verschleppen und dort zwangsverheiraten. Rana kann sehr überzeugend sein und diese gutmütigen, leichtgläubigen jungen Leute haben sie natürlich prompt bei sich aufgenommen. Ich habe ihr mehrmals deutlich zu verstehen gegeben, dass das nicht geht, dass sie zurückmuss, in die Klinik oder zu ihren Eltern. Aber vergeblich. Am Freitagmorgen habe ich ihr dann ein Ultimatum gestellt – wenn sie
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