Roeslein tot
für bare Münze genommen. Ob ihn diese Leichtgläubigkeit das Leben gekostet hat? Ich hätte an der Stelle vom Othello den Jago umgebracht und nicht die Desdemona. So wie es vielleicht der Eisinger getan hat?
Falls er tatsächlich den Sepp ermordet haben sollte, wäre es eigentlich egal, mit wem ihn seine Frau betrogen hat, falls überhaupt. Dabei betrügen doch meistens die Männer ihre Frauen und nicht umgekehrt, sagen die Menschen. Aber das geht ja irgendwie rechnerisch gar nicht auf. Weil, zum Betrügen braucht man genau vier Leute, nämlich die Betrügerin, den Betrüger, den Betrogenen und die Betrogene. Wie auch immer, ich bin mir gar nicht sicher, ob an der Geschichte wirklich was dran ist. Die Linden hingegen betrachten die Schuld der Eisingerin als erwiesen. Jemand, der ihre Heimat als »verfluchtes Kaff« bezeichnet, ist für sie unten durch. Beweise sind da ihrer Meinung nach unnötig.
Der Anni reichen die bedrückenden Erlebnisse für heute. Sie legt das Geld auf den Tisch und lässt den Schaumsatz mit noch etwas Kaffee im Glas stehen. Auf dem Nachhauseweg grüßt sie den Herrn Pfarrer, der vor der Pfarrhaustüre voller Stolz seinen Olivenbaum betrachtet.
Wenn ich an den Herrn Pfarrer denke, geht mir durch den Sinn, dass es einen größeren kleidungsmäßigen Kontrast als zwischen der Eisingerin und ihm gar nicht geben kann. Er immer in Schwarz, höchstens mal ein weißes Hemd mit schwarzem Pullunder, selbst bei Hochsommertemperaturen nie kurzärmlig. Sie, als sei sie in einen Farbtopf gefallen. Aber in einen, wo die Farbreste nur noch für sehr wenig Fläche gereicht haben.
Unterdessen beginnen Madame und Monsieur Eisinger bei den letzen Angerlinden eine Konversation. Ich muss mich anstrengen, die ganzen vonseiten der Linden auf mich einprasselnden Informationen zu sortieren. Ist ja plötzlich richtig was los in Reindlfing!
»Das wäre doch eine schöne Sache, so ein Junior«, sagt der Eisinger und seufzt.
»Franz. Bitte. Wir hatten doch vereinbart, dass wir dieses Thema lassen. Meinst du vielleicht, ich möchte meine besten Jahre mit dem Wegwischen von Kinderscheiße verbringen? Entschuldige den ordinären Ausdruck, aber so ist die Realität nun einmal. Ich will leben , verstehst du? In dieser Einöde ist das sowieso schwierig genug.«
»Und wer soll das Geschäft weiterführen, wenn ich eines fernen Tages nicht mehr kann?«
»Mach dir keine Sorgen. Ich bin ja da. Ich kann dann noch eine ganze Weile weitermachen«, kontert die Eisingerin mit einem giftigen Unterton.
Die Linden versuchen, die Eisingerin durch intensives Blättergeraschel umzustimmen. Leider ist sie für so was nicht empfänglich. Was für ein Elend. Die Reindlfinger sollten sich überhaupt viel mehr fortpflanzen, wünschen sich die Linden. Sie stehen schon zweihundert Jahre am Anger und haben einen stetigen Niedergang erlebt. Früher wimmelte es unter ihnen von Kindern jeden Alters. Die Buben spielten Schusser, die Mädchen hüpften über Seile. Später kamen dann die Hula-Hoop-Reifen und bei den Buben die Kettcars. Noch später hatten die Mädchen ein Tamagotchi und die Buben ferngesteuerte Modellautos. Inzwischen haben die Linden keine Ahnung mehr, welches Spielzeug gerade angesagt ist. Nur noch Mumien überall. Alle, die früher mit den Reifen und den Kettcars gespielt haben, sind ausgeflogen und nicht mehr zurückgekommen. Birgits Bengel scheint die einzige Hoffnung für den Fortbestand von Reindlfing zu sein. Die Eisingerin hat keine Lust, obwohl der Eisinger wollen täte, und die Anni hätte Lust, aber der Jens will nicht. So wird das nichts. Wen sollen die Linden dann in den nächsten zweihundert Jahren belauschen? Düstere Aussichten.
Die Anger-Spaziergänger trollen sich. Es wird abendlich still in Reindlfing. Das Wochenende kehrt ein. Aber die Sache mit den Handschuhen in der Mülltonne lässt mir keine Ruhe. Eine Kübelpflanze mitten im Sommer umzutopfen ist nicht ideal, das müsste doch selbst ein Pfarrer wissen. Am besten, ich erfahre direkt vom Betroffenen etwas darüber.
»Ich muss dich mal was fragen: Hat dich der Herr Pfarrer in den letzten Tagen umgetopft?«
Der Olivenbaum seufzt ganz beglückt: »Jaaaa! Zuerst habe ich dabei so transpiriert, dass ich schon dachte, ich würde vertrocknen, wegen der Hitze und der verlorenen Haarwurzeln. Doch dann, diese Weite … Ein herrliches Gefühl! Ich schieße jetzt richtig los. Bald bin ich so stattlich wie die Olivenbäume auf den Postkarten aus dem Heiligen
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