Roeslein tot
endlich die Augen zugemacht. Kurz vor Mitternacht waren wir wieder zu Hause. Da lag der Schwiegervater schon im Bett.«
»Waren Sie und Ihr Mann die ganze Zeit zusammen?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Sie haben nicht unterwegs in der Gärtnerei vorbeigeschaut?«
Die Birgit guckt ganz erschrocken drein. »Was hätten wir denn dort zu suchen gehabt? Sind wir jetzt verdächtig? Sie glauben doch nicht, dass ich mit meinem Mann jemanden ermorden könnte, während mein Baby gleich daneben …« Tränen drängen sich aus ihren Augenwinkeln.
»Stuhlinger, lass sie in Frieden! Die Birgit ist eine schlechte Lügnerin. Sie sagt ganz sicher die Wahrheit«, rufe ich hinüber. Offenbar sieht er es ein, auch ohne mich verstanden zu haben.
»Schon gut. Sie können gehen.« Der Stuhlinger wendet sich wieder dem jungen Berglmaier zu. »Richten Sie Ihrem Vater bitte aus, er möchte mich in der Gärtnerei aufsuchen, sobald er zurückkommt.«
»Mei Vatter kimmt erst morgn zurück. Ober glaubn’s jo ned, dess Sie eam wos ohänga kenna. Mei Vatter hot oiwei Oarbeit. Der wor den gonzen Obend im Stoi. Er hot koa Zeit, irgendwo in dera Gegend umanandzulaufa. Mir san a unbescholtne Familie, seit Joahrhunderte ortsansässig. A jeder in Reindlfing tat auf den Nomen Berglmaier schwörn.«
»Und worauf schwört dann ein Berglmaier? Am besten, Sie lassen das mit dem Schwören. Ich wüsste nur gern endlich die Wahrheit.«
Bevor der junge Berglmaier noch mehr Feindseligkeiten ablassen kann, dreht ihm der Stuhlinger den Rücken zu, schreitet mit Amtswürde zum hinteren Feldweg und verlässt den Hof.
Was für ein schöner Spaziergang! Das Gras steht hoch. Schmetterlinge flattern über den Margeriten, die den Oberkommissar argwöhnisch beäugen. Der Stuhlinger fühlt sich jedoch völlig unbeobachtet, pfeift ein Lied und schaut in den weiß-blauen bayrischen Himmel. Zwar hatte er gerade keinen unmittelbaren Erfolg, aber jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, das sagt ihm sein Gefühl. Und dass die Polizei in Reindlfing für heute Feierabend machen kann.
Die Anni ist zwar noch längst nicht mit der Arbeit fertig, aber eine Pause gönnt sie sich doch, in der sie einen frischen Blumenstrauß auf das Grab vom Sepp bringt. Oder gehört das auch zur Arbeitszeit? Wo sie schon mal fast auf dem Anger ist, kommt ihr die Idee, ganz außer der Reihe eine wirkliche Pause zu machen. Das wär doch mal was! Schon steigt ihr der Kaffeeduft aus der Bäckerei in die Nase. Sie fühlt sich zwar ein bisschen deplatziert mit ihrer erdverschmierten Arbeitshose an dem weißen Plastiktischchen, aber außer ihr sitzt sowieso nur die Theresa da, der die Vilshoferin etwas gelangweilt zuhört. Die Anni ist für die Bäckerin ein willkommener Vorwand, der Theresa zu entfliehen.
»Wos hättst’n gern, Anni?«
»An Latte macchiato, bittschee.«
Da soll keiner behaupten, dass man auf dem Dorf nicht weiß, wie man so was ausspricht. Die Anni lebt ja nicht hinter dem Mond. Der Düngerlehrgang in Westfalen war nicht die einzige Fortbildung, an der sie teilgenommen hat. Sie kommt schon ganz schön herum. Und privat, da geht sie mit dem Jens öfter nach Penzberg ins Kino. Ab und zu sogar nach München ins Theater, wenn auch selten. Weil, da ist dem Jens das Geld zu schade dafür. Zuletzt haben sie vor zwei Monaten den »Othello« von Shakespeare gesehen. Die Anni hat dem Sepp ganz begeistert in der Küche davon berichtet, und der Weihnachtskaktus hat uns alle ausführlich mit dem Inhalt des Theaterstücks vertraut gemacht. Der Sepp meinte dazu bloß: »So an ausländischer Schmarren.« Ich fand es aber ganz spannend. Das Stück spielt im sonnigen Italien, wo auch der original italienische Latte macchiato herkommt, den die Anni gleich schlürfen wird. Ach ja, Theater, das wäre was für die Linden: Herz, Schmerz und jede Menge Aufruhr. Wenn die Menschen über Kino und Theater reden, sind das die Momente, in denen die Linden bedauern, Pflanzen zu sein.
Die Vilshoferin bringt das Glas mit dem Strohhalm und dem ranzigen Schokoladenkeks am Rand des Untertellers und setzt sich pflichtschuldig wieder zur Theresa. Während die Anni ihren Erinnerungen nachhängt, hört sie ein fernes Rattern näher kommen. Aus der Gasse, die zum Berglmaierhof führt, drängt sich die Nase eines Kinderwagens auf den Anger. Das Gestänge klappert beim Fahren auf dem Kopfsteinpflaster. Dabei kann die Birgit noch froh sein. Früher war das Kopfsteinpflaster viel holpriger. Seit der Angersanierung
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