Roeslein tot
Der Mörder und der Rosendieb – mal angenommen, es waren keine Frauen – könnten sich ebenso gut knapp verpasst haben. Der Mord selbst und das Verstecken der Leiche dürften nicht allzu viel Zeit in Anspruch genommen haben. Die Rose auszubuddeln hat sicher nicht viel länger gedauert. Falls es vorher keinen oder nur einen kurzen Streit gab, kann der Mord daher zeitlich ohne Weiteres vor oder nach dem Diebstahl passiert sein. Und wenn der Rosendieb tatsächlich durch die Wiese gefahren ist, heißt das noch lange nicht, dass der Berglmaier den Schladerer nicht umgebracht haben kann. Vielleicht hat er sich gedacht, aha, jetzt ist das Tor am Kompost offen, da will ich mal sehen, was der alte Gärtner so treibt. Unsere Leute müssen sich die Wiese und das Brombeergebüsch genau ansehen. Vielleicht sind noch Spuren im Gras zu finden, auch wenn sich die Pflanzen inzwischen wieder aufgerichtet haben. Eine Schande, dass es unmittelbar nach dem Mord niemandem aufgefallen ist.«
»Wer kommt schon auf die Idee, mitten in einer Wiese nach Reifenspuren zu suchen? Von hier wären sie auch gar nicht zu sehen gewesen. Das Auto ist sicher das erste Stück noch auf dem Feldweg gefahren, bis dorthin, wo er abknickt.«
»Ausreden, Wellmann, nichts als Ausreden.«
Aus Rücksicht auf den Wellmann verzichtet der Stuhlinger heute auf eine Mittagsmahlzeit im »Löwen«. Sie nehmen stattdessen einen Snack im »Café am Anger« zu sich. Dort gibt es überbackene Käsebrötchen. Der Stuhlinger hat die Vilshoferin gefragt, ob es erlaubt sei, sich mit einer Leberkässemmel aus der Metzgerei an den Cafétisch zu setzen. Die hat ein bisschen das Gesicht verzogen, aber dann zugestimmt. Der Getränkekonsum bringt ja sowieso am meisten. Außerdem bekommt ihr Mann das nicht mit, hofft sie.
Zwei Tische weiter sitzt die Theresa und löffelt eine Instant-Bouillon, die die Vilshoferin auf Anfrage für ihre Gäste zubereitet. Ein anständiger Reindlfinger isst ja daheim zu Mittag. Doch die Theresa kann sich nicht entgehen lassen, was auf dem Anger passiert. Besonders nicht nach einem Mord. Ergreift sie jetzt die Gelegenheit, die sich bietet, zu den beiden Polizisten herüberzukommen und mit ihrem Wissen über die Seitensprünge der Eisingerin zu glänzen?
Nein. Die Linden wissen wie alle langjährigen Bewohner von Reindlfing, seien sie pflanzlich oder nicht, dass die Theresa anders tickt. Etwas geradeheraus zu sagen, und dann noch zu jemandem, der ein Protokoll daraus macht, widerstrebt ihr ganz und gar. Das wäre Perlen vor die Säue werfen. Ihr Wissen soll ausschließlich von runzeligen Lippen zu runzeligen Ohrmuscheln hinter runzeligen vorgehaltenen Händen verbreitet werden.
Die Vilshoferin öffnet sich der Ordnungsmacht genauso wenig, weil sie weiß, dass sie sich dadurch die Theresa zur lebenslangen Feindin machen würde. Eines Tages werden die Polizisten weg sein, aber die Theresa ist dann immer noch da.
Ungestört von Zeugenaussagen versenken die zwei Ordnungshüter ihre scharfen Allesfresserzähne in ihren jeweiligen Imbiss. Gerade spritzen die ersten Fetttropfen aus dem Leberkäs, und die ersten Krümel fallen vom Käsebrötchen herunter, da stöckelt die Eisingerin am Café vorbei. Die beiden schauen einander an. Diesmal werden sie sie nicht verpassen.
Der Wellmann springt auf und läuft der Eisingerin hinterher. Jemanden einzuholen, der sich in solchen Schuhen fortbewegt, ist nicht schwer. Der Wellmann hat nicht mal Zeit, richtig zu schlucken, und sagt mit vollem Mund: »Fau Eisinga, wi wüde gen mit Ihne speche.«
Sie bleibt stehen und gibt ihm die Gelegenheit, den Bissen hinunterzuwürgen.
»Hätten Sie Zeit, so in einer halben Stunde in der Gärtnerei vorbeizukommen?«
Die Eisingerin guckt nicht gerade begeistert. Aber vielleicht wäre das eine Gelegenheit, die Wellen, die das Gespräch Ihres Gemahls mit dem Sepp geschlagen hat, ein bisschen zu glätten. »Das lässt sich einrichten«, erwidert sie und stakst weiter.
Genau eine halbe Stunde später fährt das Cabrio vor. Es ist ja ein weiter Weg vom Sporthaus bis zur Gärtnerei mit solchen Absätzen. In einer schulterfreien rosa Wolke und passenden Plateausohlen-Pantoletten schwebt die Eisingerin selbstbewusst durch das Rosenbeet. Sie beginnt offensiv: »Sind also die abstrusen Unterstellungen gegen meinen Mann immer noch nicht aus der Welt? Ich dachte, es sei Ihre Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden. Und die Wahrheit ist, dass mein Mann mit dem Mord überhaupt nichts zu
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