Roeslein tot
rumpelt es nicht mehr ganz so arg. Eigentlich wollte die Gemeindeverwaltung das alte Pflaster verhökern und durch viel billigeres sandsteinfarbenes Betonpflaster ersetzen, mit künstlich abgeschlagenen Kanten und standardisierten Unregelmäßigkeiten. Täuschend echte Optik. Das hätte ein paar Euro in den Gemeindesäckel gebracht. Doch dann hat der Herr Pfarrer eine Spende vom Sprenger zur Wiederverwendung des alten Pflasters abgezweigt. Um den »genius loci« zu wahren, hat er gesagt, was auch immer das heißen soll.
Als die Birgit direkt am Café vorbeiklappert, kann sich die Anni nicht mehr beherrschen. Heute hat sie ja niemanden dabei, der sie zurückhalten könnte. Sie springt auf, lässt das halb volle Glas Latte macchiato stehen und stürzt sich auf den Kinderwagen.
»Ach schaug, der schloft ja goar ned. Wos der für scheene blaue Augn hot! Und lächeln tuat der aa, wia immer.«
Im selben Moment beginnt Klein Junior zu quengeln. Die Birgit holt ihn aus dem Wagen.
»Ach, Birgit, darf i ean amoi auf den Oarm nemma? No nia hob i so a herzigs Baby gseng!«
Von so viel Bewunderung eingelullt, erlaubt die stolze Mutter der Anni, das Kind zu übernehmen. Tatsächlich hört es gleich zu quengeln auf.
»I bin die geborne Mutter«, murmelt die Anni, »wenn’s der Jens bloß eigseng hätt. Ober jetzat is’s eh zu spät. Vielleicht kimmt er jo boid ins Gfängnis.« Sie wiegt das Baby wehmütig hin und her.
Da schießt der Berglmaier junior aus der Seitengasse wie ein Springkrautsame aus der Kapsel und schreit: »Loss mein’ Sohn in Frieden, du Hex!« Am liebsten hätte er gebrüllt: »Oide Hex«, aber das wäre nicht ganz passend gewesen, weil die Anni erst sechsundzwanzig ist.
Vor Schreck lässt sie das Kind beinahe fallen. Die Birgit reißt es ihr mit einem schuldbewussten Blick auf ihren Herrn und Meister aus den Armen. Dann zieht die junge Familie weiter, und die Anni kehrt zu ihrem kalten Latte macchiato zurück. Eine ganze Wolke von Trauermolekülen steigt zu den Linden hoch. Ich fühle mit ihr. Gerade hat sie den Vater verloren, und jetzt wird sie auch noch beleidigt. Bloß aus alter Familienfeindschaft. Als ob der junge Berglmaier seinen Groll nicht endlich begraben könnte, jetzt, wo die Anni den Anspruch auf das Kofel-Eck zurückziehen will. Aber der Jens will nicht. Hier im Dorf geht es zu wie bei der Vendetta in Italien, finde ich. Eine Schande.
Vom anderen Anger-Ende her schreitet das Ehepaar Eisinger dem klappernden Kinderwagen entgegen. Der Eisingerin, die ein giftgrünes Minikleidchen mit einem Muster aus azurblauen und sonnengelben Papageien trägt, knicken in regelmäßigen Abständen die Knöchel über den astronomisch hohen giftgrünen Absätzen auf dem Pflaster um.
»Verfluchtes Kaff. Hier gibt es nicht mal einen anständigen Bodenbelag.«
Diese Bemerkung hören die Linden sehr genau, obwohl sie eigentlich nur für den Gatten bestimmt ist. Unglaublich, was sich diese Zugereiste erlaubt. Unser schönes Reindlfing durch den Schmutz zu ziehen!
Sobald die Eisingers auf Höhe des »Café am Anger« angelangt sind, zischelt die Theresa so, dass es die Eisingerin hören soll, aber denkt, sie solle es nicht hören: »Host des gseng? Bloß a Fetzerl überm Busen vorn und überm Po hintn. Und de kreischende Foarbn! Des is jo wia auf’m Strich. Koa Wunder, dess do de Monna gonz wepsig wern. I könnt dir wos verzähln …«
Jetzt zeigt sich die Vilshoferin plötzlich sehr interessiert, doch die Theresa schweigt. Die Eisingers erfüllen die ihnen zugedachte Rolle, gehen weiter und tun so, als hätten sie nichts gehört. Sobald sie tatsächlich außer Hörweite sind, beugt sich die Vilshoferin zur Theresa hinüber und drängt sie: » Wos könntst verzähln? I sog’s gwiss koam weiter.«
»Oiso …« Die Theresa hat ihre Stimme so gesenkt, dass die Anni nichts hören kann. Die Linden auch nicht. »… schhbsstststsschss … Und dem Sepp hob i’s aa gsogt«, schließt die Theresa ihren nachrichtendienstlichen Rapport ab.
Aha. Von der Theresa hatte der Sepp also die Seitensprung-Geschichte. Jetzt muss ich daran denken, was der Weihnachtskaktus über den »Othello« erzählt hat. Da ging es ja auch um Untreue. Dabei war die Desdemona gar nicht untreu, nur hat es ihr der Jago nachgesagt. Bei der Eisingerin könnte sich das genauso verhalten. Wenn die Damen aus dem Friseursalon etwas behaupten, kann man fast darauf wetten, dass es nicht wahr ist. Der Sepp hat es jedoch allem Anschein nach
Weitere Kostenlose Bücher