Ro'ha: Teil 1 - Vernichtung (German Edition)
sie in ihre Lungen sog, fühlte sich mit jedem Atemzug feuchter und schwerer an und mit jeder Sekunde fühlte sie deutlicher, wie immer weniger Sauerstoff aufgenommen wurde.
Sie hätte Angst fühlen müssen, Panik, den heißen Wunsch zu leben - aber da war nur Leere. Ihre Beine wurden schwer und Lillja musste sich an der Wand abstützen, um nicht zu fallen. Schwindel kam hinzu und bunte Schlieren, die vor ihren Augen tanzten.
Endlich zog sie die Schutzkappe von der Kanüle und verabreichte sich das Mittel. Schwindel und Schlieren wichen langsam und nach einigen Augenblicken arbeiteten ihre Lungen wieder normal.
Achtlos ließ sie die Spritze fallen und ging zurück zum Aussichtsfenster. Nach einer Weile schaltete sie die Musik wieder ein und nahm auf dem Sitzsack Platz. Draußen zogen weitentfernte Sterne vorbei. Vielleicht war einer von ihnen ihre Sonne.
Die Träume, die sie in dieser Nacht heimsuchten, waren grausam. Sie träumte von ihren Schwestern und Eltern, davon, dass alles gut war. Kein feindliches Schiff hatte ihren Planeten verwüstet, niemand war gestorben. Doch ihr Ich im Traum wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach und plötzlich wich das friedvolle Bild einer Szenerie der Zerstörung.
Ein gleißender Blitz fuhr auf ihr Elternhaus und ihre Schwestern vergingen schreiend in einem Meer aus Hitze. Es folgte eine Reihe schrecklicher Bilder, die sich in Sekundenschnelle abwechselten: Ihr Verlobter, wie er, mit dem Telefon in der Hand und mit vor Entsetzen geweiteten Augen eine gewaltige Explosion in der Ferne sah, ihren Hund, der von einer Druckwelle davon gerissen wurde. Dann Insos zerstörtes Gesicht, die Pupille des verbliebenen Auges im Tod geweitet. Die toten Menschen auf dem abgestürzten Schiff. Das Gesicht des Mannes, auf den sie geschossen hatte. Wieder Inso. Die schrecklich leidende Frau auf der Station - der Mensch - ihre Schwestern - der Hund - Inso - der Mann.
Mit einem Keuchen kehrte sie in die reale Welt zurück und sah sich mit rasendem Herzen um.
Die Musik war verstummt und das Bild der Außenwelt hatte sich abgeschaltet. Es war dunkel und still.
Endlich konnte sie weinen …
20
Die folgenden Tage vergingen wie im Traum. Lillja brachte Ordnung in ihre Station, studierte Behandlungspläne und allgemeine Informationen über die neue Spezies an Bord.
Die Daru - das war der korrekte Plural der weiblichen Form Daraa - waren ein Volk, das den Menschen sehr ähnelte. Zumindest auf den ersten Blick. Sie waren Allesfresser, die lebenden Nachwuchs gebaren und sich auf einem erdähnlichen Planeten entwickelt hatten. In groben Zügen war ihr Organismus ähnlich aufgebaut, wenn auch einzelne Organe an anderen Stellen lagen und es andere Atavismen gab, was sich natürlich auf eine anders verlaufende Evolution zurückführen ließ. Allerdings gab es auch zahlreiche gravierendere Unterschiede, die ihre Verschiedenartigkeit unterstrichen. Kalira hatte ihr zu diesem Thema eine sehr umfassende Abhandlung zukommen lassen, die noch immer unangetastet auf ihrem Schreibtisch im Bereitschaftsraum lag.
Die meiste Zeit verbrachte Lillja mittlerweile alleine und trauerte im Stillen über ihre verstorbenen Lieben und versuchte, die furchtbaren Erlebnisse der letzten Wochen und Monate irgendwie zu verarbeiten.
Ihr neuer Dienstplan ließ ihr mehr Zeit für Sport und Studium, also verbrachte sie täglich ein bis zwei Stunden in einem der Trainigsräume und arbeitete an ihrer Ausdauer und Kraft. Azarion hatte ihr mehrfach angeboten, sie an verschiedenen Waffen zu trainieren, doch das hatte sie nur an den Schuss auf den Menschen erinnert und sie hatte stets abgelehnt. Mit der Zeit war sie dazu übergegangen, den Fitnessraum nur dann aufzusuchen, wenn sie wusste, dass die meisten Soldaten anderweitig beschäftig waren. Sie wollte keine Gesellschaft.
Den größten Einfluss hatte das Erlebte auf ihre Träume und ihren Hunger. Sie wollte am liebsten gar nicht mehr schlafen, denn in der Nacht übernahmen Ängste und grausame Bilder ihren Geist und ließen sie die schlimmsten Dinge immer und immer wieder erleben.
Am Abend des fünften Tages nach ihrem Erwachen besuchten sie Nefaris Tar und Cor Soran überraschend auf ihrer Station.
Lillja las gerade einen faszinierenden Bericht über die Anwendung traditioneller Medikamente zur Behandlung psychischer Beschwerden bei jungen Xhar Soldaten. Es wurde mehrfach deutlich hervorgehoben, dass die Behandlung für Männer bestimmt war, die ihren Dienst nach
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