Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
mir war das Fahrerhaus. Die Plane war an den Seiten mit Lederriemen festgezurrt. Die Lücken waren zu klein, um sich hindurchzuzwängen.
Es gab nur einen Weg, aber den versperrten die beiden Typen. Die Dunkelheit ließ sie größer erscheinen, als sie waren. Von draußen war Straßenlärm zu hören, Tausende Schritte scharrten den Bürgersteig entlang. Wenige Meter von mir entfernt gingen Menschen vorbei, die gerade an ihren Job dachten oder daran, was sie nach Feierabend machen wollten. Und ich stand da mit einer Toten und ihren mutmaßlichen Mördern.
»Warum habt ihr sie umgebracht?« fragte ich.
Sie gaben keine Antwort, und ich hatte eigentlich auch keine erwartet. Langsam schlichen sie auf mich zu. Sie waren hinter mir her, und sie würden mich niemals entkommen lassen. Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, diesmal …
Die Lampe! Der einzige lose herumliegende Gegenstand, mit dem man Angreifer abwehren konnte. Ich griff zu und wirbelte sie über dem Kopf herum. Gleichzeitig stürmte ich vor.
Aber sie waren gut trainiert. Ich kam nicht bis zur Rampe. Sie packten mich und drehten mir die Arme auf den Rücken. Ich schrie mit aller Kraft: »Hilfe! Die bringen mich um! Hil …«
Eine schwielige Hand verschloß mir den Mund und erstickte den Hilferuf. Dann bekam ich einen Hieb in den Magen, der mir die Luft nahm, und zwar so vollständig, daß ich gar keine Lust mehr hatte, jemals wieder zu atmen. Sie ließen mich los. Ich fiel auf die Knie und krümmte mich.
Sie rollten mich auf die Seite und fesselten mich mit einem Lederriemen. Ich hatte solche Schmerzen, daß ich keinen Widerstand leisten konnte. Dann knebelten sie mich mit einem Stoffetzen, daß ich würgen mußte. In wenigen Minuten war ich zu einem hilflosen Paket geworden.
Stimmen draußen vor der Plane. Jemand lachte leise. Die Leute gingen so nahe an dem Transporter vorbei, daß ich sie hätte berühren können. Unsanft zerrten mich die Typen zu der Kiste mit der Toten. Sie stopften mich geradezu hinein. Gleich darauf fuhr der Wagen an.
Helgas kalte Hand drückte gegen meine Stirn. Wir lagen Wange an Wange. Es war stockdunkel in der Kiste, aber ich meinte, ihren gebrochenen Blick spüren zu können. Der Wagen schaukelte die Straße entlang, aber ich lag ja bequem auf weichen Decken und einer Frauenleiche. Das Sprechfunkgerät, das stets zu tragen ich versprochen hatte, lag im Mazda, da es mir beim Beladen des Wagens hinderlich gewesen wäre.
Niemand hatte mich gesehen. Ein Speditionsauto wird beladen und fährt los. Das ist nichts Ungewöhnliches. Sie konnten mit mir machen, was sie wollten. Und ich konnte mir schon denken, was das war. Ich würde wohl Helgas Schicksal teilen. Wenn sie aus mir herausgepreßt hatten, wo sich die Diskette befand … und das konnte eine Weile dauern, denn ich hatte ja nicht die blasseste Ahnung. Sie mußten sich allerdings auch nicht beeilen. Es konnte Stunden dauern oder Tage. Sie waren Profis auf diesem Gebiet.
Ich beneide dich, Helga. Du hast es hinter dir. Du bist bereits tot, dir können sie nichts mehr tun. Ich wünschte, wir könnten tauschen. Es gab einmal eine Zeit – sie liegt schon eine ganze Viertelstunde zurück –, da glaubte ich, ich wäre glücklich. Da war ich voller Elan und wollte ein neues Leben beginnen. Ich hatte wohl auf Sand gebaut.
Helga, ich fühle, daß ich bald ganz bei dir sein werde. Ich bekomme kaum noch Luft. Ich schaukelte gegen ihren Körper und schaukelte gleichzeitig in eine unendliche Finsternis hinein …
Plötzlich ein scharfes, blendendes Licht. War ich schon über die Grenze, kam jetzt das jüngste Gericht? Dann hatte ich keine Chance mehr. Wieder Dunkelheit. Mein Hals war auf einmal ganz trocken. Ich würgte. Das grelle Licht wurde schwächer, aber es verschwand nicht.
»Welcome back. We have longed for you, indeed we have.«
Seit wann sprach man im Reich der Toten englisch? Wer waren die, die sich so nach mir gesehnt hatten? Die Stimme kannte ich doch! Voller Jovialität und guter Laune. Klang sie nicht auch ein bißchen nach Tod?
Ich begann, wieder zu sehen und zu fühlen. Ein kalter, kleiner Raum mit braungestrichenen Holzwänden. Ich versuchte aufzustehen, fiel aber sofort wieder auf den Rücken zurück, denn die Riemen, mit denen ich angebunden war, ließen mir nur wenige Zentimeter Spielraum. Man hatte mich an ein Bettgestell gefesselt, die Matratze fehlte. Meine Hände lagen vor dem Körper und trugen Handschellen, die vom privaten Markt stammen mußten. Bei denen,
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