Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
Wasser. Ich werde noch ein paar Eiswürfel hineingeben.«
Ein trocken-heiseres Flüstern, ein Krächzen. Ich wußte nicht, was ich sagte, aber es war wohl nicht das, was er hören wollte.
Wieder verließ er den Raum. Sacht glitt ich in das Dunkel hinüber, das mir als letzter Ausweg geblieben war. Nun mußte ich nicht länger an Wasser denken. Über den Styx ging es ins Reich des Hades. Styx war ein Fluß, ein kalter, herrlicher Fluß. Warte, würde ich dem Fährmann Charon zurufen, ich will mich vorher noch an dem herrlichen Wasser laben. Du hast doch Zeit, lies solange Zeitung oder spiel mit dem Hund, bis wir übersetzen …
Ein seltsamer Gedanke entstand auf einmal in meinem geschrumpften Hirn. Er rief mir etwas zu, das ich zuerst nicht verstehen konnte, weil es in den ausgetrockneten Windungen meines ehemaligen Intelligenzzentrums so hallte. Aber dann begriff ich plötzlich.
Ich wußte, wo sich die verschwundene Diskette befand!
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Pflichtgefühl … Vielleicht lag es daran, daß der Fährmann noch warten mußte. Die Pflicht. Ich war aufgewachsen mit Luther und Ling und Per Albin Hansson und Baden-Powell. Lesebuch der Volksschule. Arbeite im Schweiße deines Angesichts. Ging nicht. Was Schweiß war, hatte ich längst vergessen.
»Gib mir!«
Hatte da jemand gerufen? Konnte jemand dieses trockene Krächzen hören? Der erhobene Zeigefinger. Gott sieht alles. Sei rein in Gedanken, Wort und Tat. Beim Essen spricht man nicht. Hände auf den Tisch. Die Erbsünde. Unerlaubtes Sprechen. Eintragung. Hausaufgaben vergessen. Eintragung »Gib mir!«
Was sagt das Gewissen? Es spricht zu dir. Der breite Weg führt in die Hölle. Allzuviel ist ungesund. Sei nicht so zimperlich. Den Rücken gerade und die Hände an die Hosennaht. Sag es frei heraus. Ehrlich. Vom Lügen bekommt man eine schwarze Zunge. Ging auch nicht. War bereits schwarzgetrocknet.
»Gib mir!«
Goldmedaille. Schulterklopfen. Gnädiges Nicken. Nimm dich vor ihm in acht. Schlechte Gesellschaft. Faß mit zu. Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem geschadet. Was man liebt, das züchtigt man. Lieber Jesus. Freund aller Kinder. Vor Gott sind alle gleich. Denk an ihn, du! Er starb am Kreuz, du! Für unsere Sünden, du! Vergiß das nicht, du!
»Giiiib mir!«
Vielleicht war es nur ein Flüstern, das keiner hören konnte. Du schummelst doch wohl nicht? Brave Jungen schummeln nicht! Vor Mädchen nimm dich in acht. Du schaust dir doch nicht etwa solche Zeitungen an? Nimm dich in acht! Ferkeleien. Lieber Sport treiben. Lauf. Spring. Schieß. Du kannst mehr. Du kannst immer mehr. Sei fleißig. Fleiß zahlt sich immer aus. Spare. Man soll immer ein Ziel vor Augen haben. Blick geradeaus. Du mußt …
»Hast du etwas gesagt?«
Er stand am Bett und grinste.
»Gib mir!«
»Ich verstehe nicht richtig. Was hast du gesagt?«
Er beugte sich über mich und tat so, als verstünde er nicht.
Wahrscheinlich machte es ihm Spaß, sich dumm zu stellen. Vielleicht hatte er das Los gezogen, mich anschließend zu töten.
»Wasser … Wasser …«
»Wasser bekommst du, wenn du uns sagst, was wir wissen wollen.«
»Ich werde … gib mir … Wasser …«
»Na also, dann laß mal hören.«
»Erst Wasser.«
Er runzelte die Stirn und grinste noch dreckiger.
»So haben wir nicht gewettet. Erst wirst du reden.«
»Halbe Adresse … dann Hälfte trinken … dann Rest … alles austrinken … sterbe bald … will erst trinken …«
Die Situation war neu für ihn. Er hatte eigene Entscheidungen zu treffen. Wenn ich recht hatte und bald abkratzen würde, wäre es seine Aufgabe, mir Informationen zu entlocken, bevor meine Seele in die ewigen Jagdgründe entschwebte.
»Okay. Spuck’s aus. Halbe Adresse – halbe Karaffe.«
Ausspucken! War der verrückt? Früher einmal, vor Urzeiten, hätte ich ausspucken können. Verschiedene Adressen flatterten wie Fledermäuse durch mein Schrumpfgehirn. Torkels väg? Torrestavägen? Dann hatte ich eine Eingebung, und ich flüsterte: »Brunnsgatan …«
»Ich halte dir die Karaffe hin.«
»Nein … will sitzen … Karaffe selbst halten … binde mich los …«
Er war jung, stark und durchtrainiert. Ich dagegen hatte den Punkt überschritten, wo ich noch für irgend jemanden ein Risiko sein konnte. Aber selbst wenn ich in Hochform gewesen wäre, hätte er mich wohl kaum als einen ebenbürtigen Gegner angesehen.
Vielleicht sah er auch intuitiv ein, daß ein großer Teil des Trinkgenusses darin besteht, den Zustrom
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