Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
genauso.«
In dieser Beziehung war mit ihm nicht zu reden, und da es mittlerweile fast drei Uhr war, spazierten wir zurück zum Touristenbüro und baten die nette Dame, uns den Weg zum Verlag zu beschreiben. Sie gab uns eine Karte, auf der sie das Haus einzeichnete. Da es recht zentral lag, konnten wir uns eigentlich zu Fuß auf den Weg machen.
Das alte, große Holzhaus stand auf einem Hügel. Es hatte zwei Stockwerke und einen ausgebauten Dachboden. Die Grenze des Grundstücks wurde durch einen niedrigen Lattenzaun gebildet, der das Eigentum markierte, ohne Besucher abzuschrecken. Man hatte den Eindruck, auf einen Park zu blicken. In einer Ecke stand ein achteckiger Gartenpavillon mit großen Glasfenstern und einem lustig flatternden Wimpel auf dem Dach. Am Tor waren zwei Briefkästen befestigt, mit Kalster beziehungsweise Kalster & Rydberg beschriftet.
Wir gingen über einen knirschenden Kiesweg. Kalster mußte uns von einem Fenster aus gesehen haben, denn er kam uns entgegen.
»Willkommen! Ich bin Paul Kalster. Wie heißen Sie?«
»Simon Palm.«
»Welchen Rang bekleiden Sie?«
»Kommissar.«
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«
Er schüttelte Simons Hand und sah ihm dabei tief in die Augen. Dann war ich an der Reihe.
»Roland Hassel, Kriminalinspektor.«
»Sehr erfreut.«
Sein Händedruck war fest und sein Blick nicht starr, sondern forschend. Das war ein Mann, der sich an eine Begegnung erinnern wollte. Kalster war über sechzig und bewundernswert schlank. Seine Haut war bronzefarben und paßte gut zu dem schwarzen, zurückgekämmten Haar. Die Augenbrauen zeigten einen kühnen Schwung, und die kleinen Fältchen um den schmalen, bestimmten Mund unter der Adlernase deuteten darauf hin, daß er gern lachte.
Ein Mann mit Charakter also, der gleichzeitig Kühnheit und Energie ausstrahlte. Er trug schwarze Hosen, ein weißes Hemd und einen Schlips. Das Jackett hatte er wohl im Haus gelassen.
»Hier lebt man nicht schlecht«, äußerte sich Simon und gab damit wie immer dem anderen die Möglichkeit, das gewünschte Personalpronomen zu wählen.
»Mein Vater hat das Haus vor mehr als achtzig Jahren gekauft. Es ist natürlich renoviert und modernisiert worden, aber immer mit Sinn für Qualität. Das einzige, was ich selbst gebaut habe, ist der Gartenpavillon. Dort veranstalten wir kleine Partys für ausgewählte Autoren des Verlages. Das traditionelle Krebsessen und so. Diese Feste schätzt man sehr. Der Verlag befindet sich im Obergeschoß.«
Von dem dunklen Flur aus stiegen wir eine steile Treppe hinauf und gelangten in einen großen Raum, der wahrscheinlich durch das Herausnehmen einer Trennwand entstanden war. Man hatte den Eindruck, daß sich die Bücherregale, -schränke und -stapel kilometerweit hinzogen. An den Wänden hingen Plakate von Buchmessen und vergrößerte Aufnahmen von Schriftstellern, die mir allerdings allesamt unbekannt waren.
An einem überladenen Schreibtisch saß eine Frau in mittleren Jahren und arbeitete an einem kleinen Computer. Sie erhob sich, als wir nähertraten, und Kalster stellte uns vor.
»Meine Nichte Sandra Ryan. Wie sollte ich nur ohne sie klarkommen? Sie ist mehr als meine Sekretärin, sie ist alles in einem und mein ein und alles. Seit ihrem fünften Lebensjahr lebt sie bei mir.«
Sie reichte uns eine kühle Hand und grüßte mit einem leisen, aber bestimmten »Hej«. Sie war nicht sehr groß, wirkte aber robust und stark, irgendwie wie eine Bäuerin, die es in die Stadt verschlagen hat. Halblanges, hellbraunes, gutfrisiertes Haar umrahmte das ein wenig kantige Gesicht mit den ruhigen, schiefergrauen Augen und der geraden, etwas zu großen Nase. Ihr Mund war schmal und zeigte, als sie zur Begrüßung artig lächelte, gleichmäßige weiße Zähne, die mir als Experten unecht erschienen. Ihre Haut war blaß und ihre Stirn hoch, was oft als ein Zeichen von Intelligenz gewertet wird, manchmal aber auch nur eine Laune der Natur ist. Sie trug ein hellblaues Kostüm mit einer Bluse, die Jacke lag hinter ihr auf dem Stuhl.
»Sandra Ryan?« wiederholte Simon. »Das klingt nicht schwedisch.«
»Mein Vater war Geschichtslehrer und schwärmte für Alexander den Großen. Deshalb ließ er mich Alexandra taufen, und später wurde dann Sandra daraus. Vor vielen Jahren war ich einmal kurze Zeit mit einem Iren verheiratet. Aber mein Mädchenname ist Jonsson, und ich bin immer Schwedin geblieben.«
Sie hätte uns das alles gar nicht erzählen müssen, aber die Leute neigen ja
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