Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
bin freier Journalist und Schriftsteller. Mein Bestreben ist es, gemeingefährliche Organisationen zu enttarnen. Ich bediene mich dabei der Wallraffmethode. Vor ungefähr einem Jahr schleuste ich mich in eine neonazistische Organisation ein. Was ich seitdem erfuhr und woran ich mich beteiligen mußte, ist furchtbar. «
Er hielt inne, und Simon fragte: »Verraten Sie einem unschuldigen Jüngling bitte, was die Wallraffmethode beinhaltet?«
»Sie ist nach dem deutschen Journalisten Günter Wallraff benannt, der sein Aussehen und Auftreten verändert, um diversen dunklen Geschichten und Praktiken von innen her auf den Grund zu gehen.«
»Ach ja? Lesen Sie bitte weiter.«
» Sind Sie an meinem Material interessiert? Ich möchte es in Buchform herausgeben, aber natürlich einige Abschnitte später auch an Zeitungen verkaufen. Wann und wieviel Sie mir bezahlen, spielt keine Rolle. Was das Buch angeht, bin ich nicht auf das Geld aus. Es geht mir darum, daß diese Dämonen enttarnt und unschädlich gemacht werden. Selbstverständlich muß ich unter Pseudonym schreiben, und Sie müßten mir versichern, daß Sie meine Identität nicht preisgeben. Am besten wäre, eine Person zu erfinden und mit einer Legende zu versehen, um die Dämonen auf eine falsche Spur zu locken. Wenn sie erfahren, daß ich hinter der Sache stecke, töten sie mich. Selbst wenn ich keine Angst vor dem Sterben hätte – aber ich habe Angst – müßte ich befürchten, daß sie mich so langsam und schmerzvoll wie möglich umbringen würden. «
Daß er sein Material gratis anbieten wollte, sah Karsten gar nicht ähnlich, aber er war wohl ein einziges Mal einer Sache auf die Spur gekommen, die all seine Münchhausengeschichten von früher in den Schatten stellte, und damit hatte sich alles geändert.
» Auch wenn ich nicht direkt und aktiv an fünf Morden teilhatte, so bin ich doch gezwungen worden, so zu tun, als hätte ich sie begangen. Es sind so viele Menschen mißhandelt worden, daß ich sie kaum noch zählen kann. Ich war dabei, als Häuser angezündet wurden. Die Bewohner haben sich nicht retten können. Uns wurde unbedingter Gehorsam abverlangt, es war verboten zu zweifeln. Ja, wenn Sie wüßten, was ich gesehen und erlebt habe, würden Sie physisch krank werden, genau wie ich. Wenn Sie das Material für ein Buch verwenden, dann will ich, daß Sie mir mit einer plastischen Operation helfen, mein Aussehen zu verändern. Einen falschen Paß kann ich mir selbst beschaffen. Sie müßten mir lediglich eine gewisse Summe zur Verfügung stellen, damit ich in einem anderen Land neu beginnen kann und hoffentlich vergessen werde. «
»Warum ging er nicht zur Polizei?« fragte Simon. »Manchmal helfen wir ja Leuten, die zum Beispiel in großen Drogenfällen aussagen, mit einer neuen Identität.«
»Er hatte Angst, als Zeuge auftreten zu müssen.«
Leider war er da keine Ausnahme. Selbst wenn wir gefährdeten Personen in Rauschgiftsachen neue Gesichter versprachen, hielt die Mehrzahl der Zeugen den Mund. Keiner erinnerte sich an etwas, niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Die eigene Haut oder die Familie zu retten war wichtiger als die Festnahme eines Importeurs.
» Ich kann hier nur andeuten, was ich alles erlebt habe. Damit Sie sichergehen können, daß ich nicht bluffe, werde ich Ihnen die Namen der Opfer, der Mörder sowie die Tatzeit notieren. Die Angaben lassen sich zum großen Teil überprüfen. Ich kann Ihnen auch die Namen der einflußreichsten Mitglieder dieser neuen Organisation sowie des Chefs, eines Ausländers, nennen sowie eine Menge anderer Details, die Sie davon überzeugen sollen, daß ich es ernst meine. Das übrige Material liefere ich Ihnen sukzessive. Bitte schreiben Sie mir nicht, sondern rufen Sie mich an, wenn Sie interessiert sind. Ich muß wohl nicht betonen, daß Sie über die Sache mit keinem Menschen sprechen dürfen.
Tja, und dann freundliche Grüße und die Unterschrift.«
Wir hatten uns hingesetzt. Simon trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Was war wahr, was entstammte der Phantasie Münchhausens? Wir kannten Karsten Lund, aber der Mord und dessen Umstände deuteten darauf hin, daß seine Befürchtungen nicht unbegründet gewesen waren.
»Warst du interessiert?« fragte Simon, wobei er Kalster plötzlich normalschwedisch mit »du« anredete.
»Aber natürlich! Ich rief ihn sofort an. Er versprach, die erwähnten Informationen unverzüglich zusammenzustellen. Wir nannten sie das Garantiematerial. Er
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