Roland Hassel - 14 - Piraten
deinem Hals sitzt und die Arbeitsbezeichnung Kopf trägt. Du träumst von einem Job in der Sicherheitsbranche, hab ich recht?«
Als Antwort zuckte ich die Schultern. Gedankenlesen war kein Beweis für paranormale Kräfte. Viele Polizisten wechseln in diese Wachstumsbranche, die von der Unsicherheit in der Welt profitiert. Die Arbeitszeiten sind fest, keiner will einem die Fresse polieren, man muß keine Betrunkenen festnehmen, die einem das Hemd vollkotzen, man wird besser bezahlt, hat an Feiertagen frei, bekommt keine Magengeschwüre und außerdem fühlt sich die Familie sicherer. Simon starrte auf die Käseplatte und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Würde er den letzten Rest auch noch vertilgen? Er würde.
»Rolle, ich wüßte einen Job für dich, über den du einmal nachdenken solltest.«
»Ach ja?«
»Mhm. Da war heute so ein Mann im Frühstücksfernsehen …«
»Wie schaffst du es fernzusehen, wenn du von neun Kindern und einer russischen Frau umgeben bist?«
»Man gewöhnt sich daran. Warte nur, bis du selbst so viele hast.«
Der Zug war abgefahren. Wir standen zwar noch auf dem Bahnsteig, doch die Schienen waren bereits herausgerissen.
»Was für einen Job meinst du?«
»Trendguru.«
»Was, zum Teufel, macht so einer? Hat das etwas mit Computern zu tun?«
»Nein, ein Trendguru erklärt uns, wie wir uns kleiden und was wir essen sollen oder welche Modefarben in den nächsten zwei Jahren dominieren werden. Weißt du, daß alles Handwerkliche boomen soll? Daß wir alle in Lindgrün herumlaufen werden? Daß Rotzbremsen wieder aktuell sind? Für Männer, selbstverständlich, für Frauen erst im nächsten Jahrhundert.«
Ein Stück Sesambrot war noch übrig. Simon erbarmte sich seiner und schickte es hinunter zu den anderen.
»Bist du verrückt?« erkundigte ich mich. »Was weiß ich schon von Trends? Ich habe keine Ahnung, was in oder out ist, und es interessiert mich auch nicht.«
Simon kramte in seinen Erinnerungen.
»Waren wir nicht einmal zusammen Schuhe kaufen? Du wolltest diese breiten Treter, während der Verkäufer behauptete, die spitzen seien modern. Macht nichts, hast du geantwortet, ich habe noch die selben Füße wie im vergangenen Jahr. Eine köstliche Replik, die ich in mein Repertoire übernommen habe! Du meinst, das wäre nichts für dich?«
»Rede doch keinen Blödsinn! Natürlich ist das nichts für mich. Trendguru, wenn ich das schon höre!«
»Trotzdem sind wir der Sache nähergekommen, weil wir diesen Broterwerb als für dich nicht in Frage kommend streichen können. Warum glaubst du, daß dich auf dem Sicherheitssektor jemand einstellen wird?«
»Mit meinen Kenntnissen …«
»Rolle, Rolle!«
Er strich sich über die Glatze und schmatzte abschätzig mit den Lippen. Kaum zu glauben, daß dieser Mann einst der Schwarm aller Mädchen gewesen war, bis Nadja ihre Klauen in ihn schlug.
»Du bist nicht auf dem neuesten Stand. Erstens bist du ein oder zwei Jahrzehnte zu alt, ein Urvieh aus der Kreidezeit. Die Sicherheitsfirmen suchen junge Männer und bilden sie selbst aus. Vor ein paar Jahren konnten solche wie du und ich noch anständige Jobs in der Branche kriegen, aber inzwischen sind wir wertlos.«
»Hör mal, ich kenne mehrere Polizisten, die …«
»Spezialisten, ja! Ganz besondere Kenntnisse, die sind gefragt. Aber was haben wir zu bieten? Eine allgemeine Ausbildung zum Polizisten aus einer Zeit, als Sigge Fürst in den Schwarzweißfilmen über Kalle Blomqvist den Konstabier Björk spielte. Wir sind Fahnder, nichts dagegen zu sagen, aber wer heutzutage jemanden finden will, muß nicht unbedingt jemanden anstellen, der auch noch soziale Kosten verursacht.«
Zugegeben, da schien etwas dran zu sein. Ich hatte ja auch nicht behauptet, daß sich jemand um mich reißen würde.
»Ich werde schon einen Job finden«, murmelte ich.
Simon hob seine Pranken und wedelte durch die Luft, als wollte er Fliegen verscheuchen.
»Okay, okay, nehmen wir mal an, du bekommst einen Job bei der Personenkontrolle einer Fabrik. Du sitzt in deinem kleinen Häuschen und siehst die Leute kommen und gehen. Langweilig, aber du bist auf alle Fälle zufrieden, dem bösen Polizeikorps entronnen zu sein. Oder irre ich mich?«
Sein Ton war schärfer geworden; er hatte sogar aufgehört, an dem Käse herumzuschnitzen.
»Meine Gefühle gehen niemanden etwas an.«
»Da sitzt du und kaust bis zur Pensionierung an dem Unrecht herum, das dir angetan wurde. Mit jedem Tag wirst du saurer; die Leute
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