Roland Hassel - 14 - Piraten
zurück.
Wir tranken, und der kühle Wein glitt wie fließender Samt durch die Kehle. Wieder spürte ich, wie mir die Tränen kamen, und ich wandte mich ab, damit Elin nicht sah, wie ihr lieber Papa heulte. Vor Glück! Das Telefon läutete, und Virena sagte schnell.
»Geh nicht ran. Laß es klingeln.«
»Es könnte Simon sein. Geht ganz schnell.«
»Aber … nun ja. Hoffen wir, daß es Simon ist.«
Ich nahm ab und nannte meinen Namen. Eine Stimme, die ich nie zuvor gehört hatte, zischte böse:
»Ich habe im Radio gehört, daß du freigelassen wurdest.«
»Ja, das stimmt.«
»Gut, dann werden wir dich und deine Familie ergreifen und euch in Streifen schneiden!«
3.
»Meinetwegen«, antwortete ich in neutralem Ton. Ich vermied jeden Seitenblick zu Virena und tat so, als handelte es sich um ein ganz normales Gespräch. Der Moment war zu heilig, um ihn von so einem ekelhaften Typen kaputtmachen zu lassen. Solche Situationen hatte ich schon mehrfach erlebt.
»Keiner von euch wird schnell sterben dürfen.«
»Richtig, nur nichts überstürzen. Noch etwas?«
»Glaubst du, das ist ein Scherz?«
In der verstellten Stimme schwang eine Nuance von Ärger mit, weil ich nicht vor Angst schlotterte. Aber nach dem Aufenthalt im Gefängnis konnte mich nichts mehr so schnell erschüttern. Ich rang mir ein Lachen ab und erwiderte munter:
»Ja, ganz meine Meinung. Prima! Aber derzeit habe ich nichts auf der hohen Kante.«
»So gehen wir mit Mördern um.«
»Da gibt es viele Möglichkeiten. Ich halte mich lieber an die traditionellen; die modernen sind nichts für mich.«
»Wir werden extra stumpfe Messer verwenden …«
»Danke, schicken Sie mir Ihren Katalog. Hej hej.«
Ich unterbrach die Verbindung, wartete eine Sekunde und legte dann den Hörer neben den Apparat. Jetzt war ich vor störenden Anrufen sicher. Ich lächelte Virena an und erklärte:
»Immer diese aufdringlichen Verkäufer, und gerade zur unpassendsten Zeit.«
Virena nickte und wandte sich an Elin:
»Sei lieb, mein Schatz, und hol noch ein paar Servietten. Von den grünen; du weißt, wo sie liegen.«
Elin rannte eifrig los, und Virena sagte, ohne mich anzusehen:
»Will uns wieder einer in die Luft sprengen, in Streifen schneiden oder vergasen?«
»Er wollte uns einen … Kühlschrank aufschwatzen.«
»Roland, du ahnst ja nicht, wie viele hier angerufen und mitgeteilt haben, was man mit Räubern und Mördern machen sollte. Kranke Menschen, auch Frauen. Elin und ich sollen auch bestraft werden. Berge von Briefen …«
»Virena, ich …«
»Einmal war Elin am Apparat und fragte mich anschließend, warum ihr der Mann den Kopf abschneiden wollte. Ich habe es als Scherz dargestellt. So ist es uns ergangen, Roland.«
Ich hatte einen Kloß im Hals und preßte mühsam hervor:
»Damit ist jetzt Schluß.«
»Das hoffe ich. Ich weiß sonst nicht, was wird. Mir ist klar, daß das Leben nicht immer leicht sein kann, aber es darf nicht unerträglich werden.«
Elin kam mit den Servietten, teilte sie aus und wurde dafür gelobt. Wie plauderten wie zuvor, lächelten und lachten. Nach dem Essen spielten wir Mensch-ärgere-dich-nicht, Elins Spezialität. Es wurde ein wunderschöner Abend, und mein Herz seufzte wegen der Wochen, die ich versäumt hatte. Als Elin schlief, gehörte Virena mir allein. Ein Uhr nachts vernaschten wir den Rest des Moselweins. Virena nahm einen kleinen Schluck.
»Roland …«
»Ja?«
»Du hast dich verändert.«
»Inwiefern?«
»Deine Augen sind anders, haben einen bitteren, harten Ausdruck. Als würdest du auf Rache sinnen.«
»Das bildest du dir ein. Gerade jetzt bin ich einfach nur glücklich.«
»So sollte es auch sein.«
Ich zwang mich zu einem Lächeln und hoffte, daß es in dem romantischen Kerzenschein überzeugend ausfiel.
»Vielleicht liegt es daran, daß es der erste Tag ist. Das geht vorüber, Virena. Bald bin ich wieder der freundliche, sanfte, alles verzeihende Roland, der ich immer war.«
»Hoffen wir es. Ich will jedenfalls meinen alten Roland wiederhaben.«
»Ich habe beschlossen, bei der Polizei zu kündigen. Der Job gibt mir nichts mehr, ich habe es satt.«
Ihre fein geschwungene Augenbraue hob sich leicht.
»Das sagst du? Du hast doch nie einen anderen Beruf ausgeübt.«
»Gerade deshalb ist es wichtig, etwas Neues auszuprobieren, bevor es zu spät wird. Ich dürfte nicht ganz chancenlos auf dem Arbeitsmarkt sein, vorausgesetzt natürlich, daß meine Unschuld festgestellt wird.«
Nachdenklich
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