Rolandsrache
echt aussah, dass man meinen konnte, sie wäre lebendig.
»Oh, Claas.« Anna war entzückt von der Figur, die aus poliertem Holz bestand. Sie würde einen besonderen Platz in ihrer Kammer bekommen.
»Ich dachte mir, dass dir so etwas gefällt.«
Verliebt sah sie ihn an. Alles schien gut zu werden, und sie konnte ihr Glück kaum fassen.
Bevor sie aufbrachen, zeigte Franziskus ihnen noch, wie weit sie mit dem Roland gekommen waren, und berichtete, was für eine gute Hilfe Friedrichs war. Er kam immer um die Mittagsstunde und blieb meistens bis zum Abend.
Nach diesem Bericht machten sich Anna und Claas auf den Weg zur Kirche.
Langsam betrat Anna den St.-Petri-Dom. Während sie den langen Gang entlangschritt, überfielen sie die Erinnerungen an ihren letzten Besuch hier. Sie zündete eine Kerze an und kniete sich vor die Statue der Heiligen Jungfrau. Aus tiefster Seele flehte Anna, dass die heilige Anna ihr beistehen und bei Gott um Gnade für sie bitten möge. Betete um Vergebung für ihren Starrsinn, der dazu geführt hatte, dass sie nicht mehr Claas’ Eheweib war. Am Schluss betete sie auch für die Seele von Heinrich, damit Gott auch ihm vergebe.
Als Anna aufstand, glaubte sie einen Moment, das Gesicht der Figur leuchten zu sehen. Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf und blinzelte. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Leuchten verschwunden. Sie seufzte laut, bekreuzigte sich und machte kehrt. Vermutlich hatte sie sich getäuscht. Ein Stück von ihr entfernt stand ein Priester. Er hielt die Hände gefaltet vor seinen Bauch. Heinrich! Anna zuckte zusammen. Erst als er mit einem gütigen Lächeln auf sie zukam, erkannte sie ihn.
»Priester Arens.« Sie atmete erleichtert aus.
»Ich wollte dich in deinem Gebet nicht stören. Ich hatte etwas in der Stadt zu erledigen, als ich eben Claas traf, der mir sagte, dass du beichten möchtest, und so habe ich auf dich gewartet.«
»Ja, das will ich.«
Er führte sie zum Beichtstuhl, zog den Vorhang zu, und Anna beichtete, was sie mit Heinrich erlebt hatte und wie sie ihn tötete.
»Du hast die Welt von einem schlimmen Übel befreit. Dennoch hast du Schuld auf dich geladen und wirst zehn Ave Maria beten und die nächsten fünf Jahre an Ostern helfen, die Armen zu speisen. Damit hast du genug Buße getan.«
»Das ist alles, für einen Mord?« Anna war vollkommen verwirrt, traute ihren Ohren nicht.
»Mord ist etwas anderes. Du hast um dein Leben gekämpft. Ihn allein trifft die Schuld. Schuldig hast du dich nur gemacht, weil du in die Räume der Kirche eingebrochen bist.«
»Aber ich habe mir jeden Tag ausgemalt, wie ich ihn töten könnte.«
»In deiner Lage hätte jeder solche Gedanken gehabt.« Arens zog den Vorhang zurück. »Und nun möchte ich dich um Verzeihung bitten.«
»Ihr mich ?«
Er nickte. »Ja. Dir und deiner Familie ist durch einen der Unseren so viel Leid zugefügt worden.«
»Aber Ihr könnt nichts dafür.«
»Das sehe ich anders. Ich habe dir damals nicht glauben wollen, hielt dich für dumm und töricht. Nach alldem ist es für mich ein Wunder, dass du deinen Glauben nicht verloren hast. Als Buße möchte ich dir die auferlegte Strafe abnehmen und an deiner Stelle die Armen speisen. Die zehn Ave Maria wirst du allerdings selbst beten müssen.« Sein Lächeln war wieder da, und Anna erwiderte es von Herzen.
»Ich berichte dem Erzbischof, dass du wieder zurück bist. Sicher will er sich bei euch noch bedanken. Schließlich habt ihr ihm das Leben gerettet. Aber erhol dich erst einmal, es hat keine Eile.«
»Natürlich. Wie geht es ihm?«
»Dank eurer und der Hilfe einer …«, er räusperte sich grinsend, »… gewissen Kräuterfrau geht es ihm so gut wie schon lange nicht mehr.«
»Das freut mich. Richtet ihm bitte aus, dass ich ihn bald aufsuchen werde.«
Anna spürte eine tiefe Erleichterung, als sie die Kirche verließ.
***
Simon war nicht wohl in seiner Haut, als er an die Tür von Rudolfus’ Haus klopfte. Seinen Kollegen Christian und Konrad schien es ebenso zu gehen, ihre Mienen verrieten es. Sie kannten Rudolfus, seit sie in den Dienst der Stadtbüttel getreten waren. Zwar war es nicht immer einfach, mit ihm zu arbeiten, aber sie kamen gut mit ihm aus, wenn seine Leiden ihn nicht plagten. Die Vorwürfe, aufgrund derer sie ihn nun festnehmen sollten, wogen schwer. Lange hatte Simon schon einen Verdacht gehegt, doch sich nicht getraut, ihn laut auszusprechen. Jetzt hatte er sich bewahrheitet.
»Ist wohl nicht da.« Christian
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