Rolandsrache
See stürzte und sie sich auf das Schiff geschlichen hatte. In Claas’ Augen las sie abwechselnd Schrecken, Hass, Wut, Traurigkeit und am Ende eine Genugtuung. Wieder küsste er sie, und Anna glaubte, die Welt um sie herum würde sich auflösen.
Dann berichtete Claas, wie es ihm ergangen war. Er versicherte ihr, dass es ihrer Mutter gut ging, sie sei zwar traurig und verzweifelt, aber wohlauf. Dass man sich um sie kümmere und Tante Eva gekommen war, um ihr beizustehen.
»Ich habe einen Menschen getötet, Claas.« Trotz allen Glücks, das sie in diesem Moment empfand, lag ihre Tat wie Blei auf ihrem Herzen.
»Nein, Anna, du hast dein Leben verteidigt, sonst wärst du jetzt tot. Heinrich war ein schlechter Mensch und ein kaltblütiger Mörder. Er hat es verdient.«
Claas’ Worte waren tröstlich, doch der Zweifel blieb.
Während der restlichen Fahrt schlief sie eng an ihn gekuschelt, und erst kurz vor Bremen weckte er sie sanft. Sie konnte es kaum fassen, dass er am Leben war, doch dann erinnerte sie sich an die Urkunde des Bischofs. Sie waren keine Eheleute mehr.
»Dass wir nicht mehr verheiratet sind, ist nur meine Schuld.« Sie sah ihn traurig an.
»Das ist mir egal, du wirst immer meine Frau sein, mit oder ohne Segen!«
»Claas!«
Er lachte, und seine Augen strahlten. »Ich meine es ernst.«
Sie passierten das Bischofstor, das vom letzten Licht der Sonne beschienen wurde, und Anna hatte das Gefühl, nach Hause zu kommen, auch wenn sie lieber außerhalb der Stadtmauern lebte.
»Und Friedrichs hilft uns, obwohl ich ihn verdächtigt habe?«
»Davon weiß er ja nichts«, beruhigte er sie.
»Ich werde mich dennoch bei ihm entschuldigen.«
Die Kutsche rumpelte jetzt durch die Sögestraße.
»Claas, was wird nun aus der Arbeit, aus den Schulden, nachdem die Urkunde endgültig verloren ist?«
»Ich bin sicher, dass Hemeling alles regelt. Er klang zuversichtlich und will sogar Friedrichs entlohnen.«
»Das klingt zu schön. Aber Rudolfus ist noch auf freiem Fuß. Er wird weiterhin eine Gefahr für uns sein, oder?«
Besorgt sah Claas sie an und nickte. »Am besten, ich schicke sofort jemanden zu Hemeling.«
Damit gab er dem Kutscher das Zeichen anzuhalten, stieg aus, sprach mit den Männern, und einer von ihnen machte sich auf den Weg zum Ratsherrn.
20
»Anna, mein Kind! Ich dachte, ich würde vor Sorge um dich sterben.« Weinend und gleichzeitig lachend nahm Magda Olde ihre Tochter in die Arme.
Anna erwiderte die Umarmung, so fest sie konnte. Sie hatte eine Zeit lang nicht mehr daran geglaubt, ihre Mutter wiederzusehen. Als Anna keine Luft mehr bekam und ihr Kleid ganz nass geweint war, lösten sie sich atemlos voneinander.
»Was hat man dir angetan? Du siehst blass aus, und wie dünn du geworden bist!«
»Mir geht es gut. Er hat mir nichts antun können und wird es auch nie wieder.«
Ihre Mutter zuckte leicht zusammen. »Wie meinst du das?«
»Ich erzähle später alles. Jetzt bin ich nur froh, dich wohlauf zu sehen. Meine Mama.« Damit gab sie ihrer Mutter einen Kuss auf die verweinte Wange.
»Und ich dich.« Nun lachte Magda Olde wieder. »Die beiden Katzen haben die ganzen Nächte auf deinem Bett geschlafen. Ich glaube, sie haben dich auch sehr vermisst.«
Wie zur Bestätigung schlich die Gräfin ihr um die Beine. Anna nahm sie kurz auf den Arm, streichelte die schnurrende Katze, und einen Augenblick später waren alle um sie herum. Thea weinte in ihre Schürze. Tante Eva lächelte glücklich und küsste sie, Claas’ Brüder drückten ihre Hände, und auch Klaus und Bertram freuten sich über ihre Rückkehr.
»Du bist ein Teufelskerl.« Stephan boxte seinem Bruder gegen die Schulter. »Musst uns erzählen, wo du sie gefunden hast.«
»Sie hat eher mich gefunden, aber davon später«, zwinkerte Claas.
Nachdem sich der Ansturm etwas gelegt hatte, versprach ihre Mutter, dass sie sogleich Annas Leibspeisen kochen würden. Bei dem Gedanken an Mutters Hühnchen lief Anna das Wasser im Munde zusammen.
»Ich habe der heiligen Anna versprochen, in die Kirche zu gehen, wenn ich wieder in Bremen bin.«
Claas nickte. »Dann werde ich dich hinbringen. Doch zuvor möchte ich dir noch etwas geben.« Er zog etwas hinter seinem Rücken hervor, das sie sehr an den kleinen Gegenstand erinnerte, den Wegener ihm beim Umzug gegeben hatte. »Eigentlich solltest du es zu deinem Namenstag bekommen, aber ich will nicht länger warten.«
Anna wickelte es aus, und hervor kam eine handgeschnitzte Taube, die so
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