Rolandsrache
ließ.
»Claas und ich wollen unsere Ehe aufheben lassen. Dazu müssen wir zum Erzbischof.«
Anna hatte schnell gesprochen, damit ihre Mutter sie nicht unterbrechen konnte, doch sie machte auch keine Anstalten, sondern wischte sich wortlos ihre Hände an der Schürze ab, nahm sich ebenfalls von dem Wein und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Ihr Schweigen hing wie Blei in der Luft, und einen Moment lang befürchtete Anna, dass die Krankheit wieder von ihrer Mutter Besitz ergriffen hätte. Dann endlich sprach sie.
»Wer von euch will denn so etwas Närrisches?«
»Beide.«
»Einer wird es zuerst ausgesprochen haben. Warst du es?« Ihr Ton war streng, und Anna senkte schuldbewusst den Kopf.
»Ja, ich glaube schon.«
Ihre Mutter atmete laut hörbar aus. »Kind, das ist nicht recht, ihr versündigt euch.« Damit stand sie auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche.
Verdutzt starrte Anna auf die leere Tür zur Diele. Dann trank sie ihren Wein aus und ging traurig in die Werkstatt zurück. Alles lief schief, nichts wollte gelingen. Hatte sie denn nur noch Pech, tat sie allen Menschen weh?
Als sie in die Werkstatt kam, folgten Claas’ Augen ihr, bis sie ihm berichtete, was die Kleriker gesagt hatten. Von der Reaktion ihrer Mutter erzählte sie ihm jedoch nichts.
11
»Wie schön, dich zu sehen, liebste Anna. Ich muss leider noch ein paar Dinge auf dem Markt erledigen, dabei könnten wir uns unterhalten. Sofern dir meine Gesellschaft nicht unangenehm ist, würde ich mich freuen, wenn du mich begleitest.« Heinrich wartete ihre Antwort nicht ab, sondern warf sich einen dicken Umhang über die Schultern.
Anna war seiner Einladung in der Hoffnung gefolgt, eine Audienz beim Bischof zu bekommen. Nun stand sie in seinem warmen Arbeitszimmer und wunderte sich, dass er mit ihr auf den Markt und in die Kälte wollte.
»Natürlich werde ich mit dir gehen, aber will seine Exzellenz mich denn nicht empfangen?«
»Das wird er bestimmt, sobald er genesen ist, doch zuvor soll ich noch einiges von dir erfragen.« Er hielt ihr galant die Tür auf und ergriff ihre Hand, als sie die Stufen hinabstiegen. Anna ließ es geschehen, obwohl die Treppe nicht sonderlich gefährlich aussah, und er lächelte sie schief an. »Manch einer ist hier schon böse gefallen.«
»Was möchte seine Exzellenz von mir wissen?«
»Es sind einige, nun ja, indiskretere Fragen, von denen er meint, dass ich sie dir stellen soll. Wohl aus dem Gedanken heraus, dass wir uns kennen.«
Sein Lächeln vertiefte sich zwar, doch Anna wusste es nicht zu deuten. Sie durchschritten das doppelflügelige Eingangsportal und wurden von der Sonne geblendet, die an diesem Wintermorgen vom blauen Himmel auf sie herunterschien. Am Kopf der Treppe war Heinrich stehen geblieben, und nachdem Annas Augen sich wieder an das Licht gewöhnt hatten, nahm auch sie den Zahnreißer wahr, der Heinrichs Aufmerksamkeit auf sich zog. Der sonnengebräunte Mann hatte seinen kleinen Stand vor dem Dom aufgebaut.
»Seht alle her und bewundert Casano aus dem heiligen Rom, den einzigen Zahnreißer, der eine beinahe schmerzfreie Behandlung verspricht«, schrie ein bunt gekleideter Junge über den Markt, worauf sich immer mehr Menschen um sie herum versammelten.
Ein strohblonder Jüngling mit einer dick geschwollenen Wange, die er sich mit einer Hand hielt, wurde von einer alten Frau bedrängt, sich auf den freien Schemel zu setzen. Widerwillig tat er es und sah den Zahnreißer angsterfüllt an.
Anna hatte ein mulmiges Gefühl dabei, den Ärmsten anzustarren, und wollte weitergehen. Doch Heinrich hielt sie zurück und beobachtete fasziniert das Geschehen, sodass sie gezwungen war, ebenfalls stehen zu bleiben, wenn sie ihm ihre Hand nicht einfach so entziehen wollte.
»Lass uns sehen, ob der Mann hält, was er verspricht. Wir haben einen alten Kleriker, den schon lange ein böses Zahnleiden plagt. Er ist nicht bereit, sich von unserem Heiler helfen zu lassen, was ich insgeheim verstehen kann.« Er zwinkerte ihr ungeniert zu.
»Warum geht er nicht zum Bader oder zum Schmied? Die sollen ihr Handwerk verstehen, heißt es.«
»Weil er denen ebenso wenig vertraut.«
Zwei Frauen senkten einen dunklen Vorhang vor dem Zahnreißer und seinem Opfer herab, dann vernahm man einen dumpfen Schlag, und die Menschen hielten gebannt den Atem an. In der Menge erkannte Anna auch die rundliche Bäckersfrau. Sie würde sie später an ihrem Stand aufsuchen, um endlich nach dem Narbigen Georg zu
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