Rolandsrache
Klage eingereicht und droht wohl mit Krieg, wie vor fünfzig Jahren. Das hat jedenfalls mein Meister erzählt.«
Anne wusste, dass vor fünfzig Jahren die Pest gewütet und jeden dritten Bremer dahingerafft hatte. Um die Stadt wieder vollzubekommen, hatte es schnelle Einbürgerungen gegeben. Das hatten die gebeutelten Bauern aus Hoya genutzt, was dem damaligen Grafen auch schon nicht gefallen hatte. Mit Waffengewalt holte er sich die Seinen zurück. Es kam zum Krieg, und Bremen verlor eine große Schlacht.
»Danke.« Claas drehte sich zu Anna. »Musst du noch mehr wissen?«
»Nein.«
»Dann komm.«
Sie nickte dem jungen Mann zu, der nun nicht mehr so selbstsicher wirkte, und ließ sich von Claas auf den Wagen helfen.
»Das kommt davon, dass du immer alleine durch die Stadt läufst«, meinte Claas ungehalten, während er die Kutsche durch das Tor lenkte.
Obwohl sein Vorwurf sie wütend machte, wusste sie, dass er recht hatte. »Was bleibt mir anderes übrig? Ich hätte Thea bitten können, mich zu begleiten, aber ich glaube, sie ist besser bei Mutter aufgehoben.«
»Das stimmt. Aber gerade im Moment, wo es um Bremen so schlecht steht, lockt es auch Gesindel heraus. Ich weiß nicht, wohin uns das alles noch führen wird. Die wichtigsten Ratsherren sind nicht da, der ehemalige Bürgermeister siecht dahin, und einen Neuen haben wir nicht, weswegen die Schöffen unfähig sind zu handeln. Und das Gesindel nutzt die Abwesenheit der Ratsmänner aus, raubt, plündert, belästigt die Weiber und was weiß ich noch mehr. Wenn Hoya jetzt wieder einen Krieg anfängt, haben wir in Bremen ein ernstes Problem.«
Anna hatte sich seit jeher nicht viel um die politischen Belange der Stadt gekümmert, aber die Dinge, die Claas erzählte, ließen nichts Gutes vermuten. »Und zu guter Letzt wird auch noch der Erzbischof von einer schlimmen Krankheit heimgesucht.«
»So, was fehlt ihm?«
»Ich weiß es nicht, aber er soll ebenfalls dahinsiechen.«
»Es sind schlechte Zeiten für Bremen, sag ich ja.«
»Wir können nur froh sein, dass wir abseits wohnen.«
»Das kannst du auch. In Bremen ist es derzeit nicht sehr sicher, und wir können nur hoffen, dass wir von Hemeling das Geld bekommen, da der Stadtsäckel leer sein soll.«
»Meinst du, es ist so schlimm?«
»Ich weiß es nicht, aber ich vertraue Hemeling und glaube, dass er das Geld auf die Seite geschafft hat.« Nach einer kurzen Pause fragte Claas: »Warst du eigentlich beim Priester?«
»Ja, er schickte mich zum Erzbischof. Ein Domdekan wird ihn um eine Audienz ersuchen, sobald er genesen ist.«
»Dann kannst du nur hoffen, dass er schnell gesundet.« Mit zusammengepressten Lippen gab Claas den Pferden die Peitsche und schwieg den Rest des Weges.
Bereits zwei Tage später kam Thea aufgeregt in die Werkstatt. Anna haute den Rahmen für das Wappen und sah in das rosige Gesicht der Magd.
»Anna, zwei Kleriker sind im Haus und warten auf dich.«
»Oh.« Ob die beiden schon den Termin beim Erzbischof brachten? So schnell hatte sie nicht damit gerechnet.
»Du möchtest bitte herkommen, haben sie gesagt.«
Anna sah kurz zu Claas, der ebenfalls an der Figur arbeitete, wenn auch noch sehr eingeschränkt. Er drehte sich demonstrativ weg, woraufhin sie trotzig ihr Werkzeug beiseitelegte, sich den Staub aus dem Kleid schlug und mit Thea nach Hause eilte.
Ihre Mutter fing sie besorgt in der Diele ab. »Ist etwas geschehen, Anna? Was wollen die von dir?«
»Ich erklär es dir später.«
Auf dem Küchenblock lagen ein ausgebreiteter Teig und ein Haufen Mehl, daneben stand ein Krug Wasser. Offenbar hatten ihre Mutter und Thea gerade gebacken. Die beiden Kleriker kannte sie flüchtig von den großen Messen zur Weihnacht oder an Ostern, die sie im Dom besuchten.
»Wir bringen eine Nachricht von Hochwürden Heinrich Frey. Ihr möchtet ihn übermorgen zur Hora Nona aufsuchen.«
»Habt Dank dafür. Soll mein Ehemann mit mir erscheinen?«
»Davon sagte Hochwürden nichts.«
»Dann richtet ihm aus, ich werde da sein.«
Nachdem die beiden sich verabschiedet hatten, erwartete Anna, dass ihre Mutter sie umgehend zu deren Besuch befragen würde, stattdessen jedoch schenkte sie ihr dünnen Wein ein und begann, den angefangenen Brotteig weiter zu bearbeiten. Anna setzte sich und sah ihr eine Weile dabei zu. Sie bewunderte es immer wieder, wie geschickt die Hände ihrer Mutter durch den Teig fuhren, ihn kneteten und wendeten, sodass er sich schließlich beinahe mühelos formen
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