Rolf Torring 019 - Der Feind des Maharadscha
zu, „ich möchte aber nur wissen, was wir dem Mann getan haben. Ich kann mich nicht entsinnen, ihn schon einmal gesehen zu haben."
„Nun, er wird uns schon kennen und seine Gründe haben, uns zu beseitigen. Jetzt könnte aber bald das Gasthaus des Chinesen auftauchen, denn wir haben schon einen genügend langen Marsch hinter uns."
„Das ist wahr", sagte ich, außerdem wird es nicht mehr lange dauern, und die Nacht überrascht uns. Und ich habe wirklich keine Lust am Lagerfeuer zu sitzen wo man bekanntlich ein großartiges Ziel für hinterlistige Kugeln abgibt."
„Hm, dann dürfen wir aber nicht zu weit von der Straße abweichen", gab jetzt Rolf zu bedenken, „damit wir nicht am Gasthaus vorbeilaufen."
Wir hatten trotz unserer Überanstrengung bisher ein scharfes Tempo eingehalten, und jetzt konnten wir den Wald vor uns schon deutlicher erkennen. Gott sei Dank bestand er aus hochstämmigen Teakbäumen, und soweit wir aus der Entfernung erkennen konnten, war das Unterholz ziemlich licht.
Schnell, aber mit äußerster Vorsicht, näherten wir uns dem Waldesrand. Der heimtückische Schütze konnte uns ja jetzt schon auf dem Korn haben, und dann nützte unser Abbiegen von der Straße nichts.
Endlich waren wir auf ungefähr fünfzig Meter heran und blieben stehen, denn jetzt mußte die Entscheidung fallen. Unsere Büchsen hatten wir schußbereit in der Hand, um jeden Angriff sofort energisch erwidern zu können. — Aber nichts regte sich.
Es waren unangenehme, ja unheimliche Augenblicke Jeder Gefahr, die wir sahen, traten wir entgegen, ohne mit den Wimpern zu zucken, aber das Versteckte, Drohende machte uns doch etwas nervös.
„Ach was", sagte Rolf endlich, „wir bleiben einfach auf der Straße. Wenn es uns treffen soll, dann wird es hinten im Wald ebenso gut geschehen können."
„Du hast recht, Rolf", gab ich zu, „gehen wir also ruhig weiter!"
Wir gingen, das heißt, wir schlichen eigentlich vorwärts. Rolf paßte auf den rechten, ich auf den linken Waldsaum auf, während Pongo, wie wir genau wußten, seine Augen überall hatte. Wenn irgendwo im Wald ein Ast knackte, blieben wir sofort stehen und hoben die Büchsen, aber meist war es ein Vogel oder ein Eichhörnchen, das pfeifend am Baum emporjagte.
So schritten wir weiter, immer in der Erwartung eines hinter irgend einem Baum aufblitzenden Schusses, blieben aber völlig unbehelligt, obwohl wir jetzt schon annähernd einen Kilometer in den Wald eingedrungen waren.
Rolf schüttelte von Zeit zu Zeit den Kopf, als wollte ihm die unheimliche Ruhe nicht recht einleuchten, und auch ich wurde immer unruhiger, denn ich machte mir jetzt Gedanken, was wohl unser unbekannter Gegner Neues plane, um uns ganz sicher zu beseitigen.
Plötzlich tat sich zur Rechten der Straße eine weite Lichtung auf, und mehrere schmucke Gebäude deuteten darauf bin, daß wir das gesuchte Gasthaus des Chinesen erreicht hatten.
Auch jetzt waren wir noch vorsichtig und schritten mit schußbereiten Büchsen auf die Eingangstür zu. Rolf zog den Torflügel auf und rief mir über die Schulter zu:
„Wir scheinen uns also doch geirrt zu haben, Hans."
„Ja,“ gab ich zu, „aber wer weiß, was uns noch bevorsteht!"
Wir hatten das große, sehr saubere Gastzimmer betreten. Ein junger, europäisch gekleideter Chinese, mit angenehmem, intelligentem Gesicht trat auf uns zu, machte eine tadellose Verbeugung und sagte — zu unserem Erstaunen in sehr gutem Deutsch:
„Guten Tag, meine Herren. Gestatten Sie, ich bin Doktor Tsao, der Besitzer dieses Hauses. Womit kaum ich Ihnen dienen?'
„Wir möchten gern übernachten", erklärte Rolf, „vorher möchten wir um einen Imbiß bitten. Und gestatten Sie, daß ich Ihnen mein Kompliment über Ihr tadelloses Deutsch ausspreche, das hatte ich hier gewiß nicht erwartet."
Der chinesische Doktor lächelte:
„Ich habe drei Jahre in Heidelberg studiert," erklärte er, „mußte dann aber dieses Haus, das meinem Vater gehörte, übernehmen, da mein Vater zu unseren Ahnen gegangen ist."
Während Tsao uns in den oberen Stock zu den Schlafgemächern führte, dachte ich darüber nach, wie sonderbar das Geschick doch den Menschen oft mitspielt. Aus einem Heidelberger Doktor hatte es diesmal einen Gastwirt in Kaschmir gemacht.
Wir erhielten drei nebeneinander liegende, sehr saubere und gut eingerichtete Zimmer. Offenbar wer das Gasthaus häufig besucht, denn sonst hätte Tsao wohl kaum diesen Aufwand getrieben. Leider hatten die Zimmer untereinander
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