Rolf Torring 021 - Unter Fanatikern
anderen emporklettern, und endlich wurde, wie ich erwartet hatte, die Leiter emporgezogen.
„Schade," meinte Rolf, „jetzt wird es uns wohl schwer fallen, hier herauszukommen, vor allen Dingen wollen wir uns erst von den Fesseln befreien. Es ist nicht angenehm, so zu schlafen."
Darin hatten wir ja durch unsere mannigfachen Abenteuer schon genügend Übung bekommen. Wir wälzten uns Rücken an Rücken und knoteten die festen Stricke auf; es machte zwar große Mühe und kostete manchen Fingernagel, aber nach einer Viertelstunde waren wir doch frei.
„Können wir wirklich nicht probieren, ob wir hinauskommen?" fragte ich jetzt leise.
„Ich habe schon jede Möglichkeit überlegt," gab Rolf zurück, „aber es ist wirklich ausgeschlossen. Wenn wir auch wirklich die Wandquadern lösen, so stoßen wir doch nur aufs Erdreich. Und hinauf können wir unmöglich, ganz abgesehen davon, daß oben sicher Wächter im Saal sind. Nein, wir wollen ruhig abwarten, wie morgen der Urteilsspruch ausfallen wird. Schließlich traue ich dem Dalai Lama soviel Vernunft zu, daß er auf meinen Vorschlag eingehen wird. Denn der Priester, den Pongo jetzt in seiner Gewalt hat, scheint eine sehr hohe Stelle einzunehmen."
„Ja das habe ich auch an dem Erschrecken des Abtes gemerkt, als du seine Kleidung schildertest. Aber unser Pongo ist doch ein ganz famoser Mensch; an ihn können sie jetzt nicht heran, denn die Steinplatte, die er verschlossen hält, ist so dick, daß keine Kugel hindurchschlagen kann."
„Ich würde mich gar nicht wundern, wenn er noch mehr vollbringt." meinte Rolf nachdenklich. „Oder glaubst du, daß er ganz ruhig in dieser Mausefalle sitzen bleibt?"
„Na. wie er da herauskommen soll, kann ich mir wirklich nicht denken." sagte ich. „Ich nehme doch an, daß die Lamas ihn in großer Übermacht bewachen. Und mit seinem Gefangenen wird er sich kaum durchschlagen können."
„Ihm traue ich noch mehr zu." meinte Rolf zuversichtlich, „wenn er es nicht mit Gewalt machen kann, wird er es durch List vollbringen."
„Na, wir wollen das Beste hoffen." entgegnete ich, „aber ich glaube, es wäre wirklich ganz gut, wenn wir versuchten, zu schlafen. Vielleicht brauchen wir morgen alle Kräfte "
„Da hast du recht, lieber Hans, die werden wir brauchen. Und schlafen werden wir sicher ganz gut, denn das Lager ist weich, und wir haben schon tüchtige Anstrengungen und Aufregungen hinter uns."
Wir wünschten uns noch feierlich eine angenehme Nachtruhe, und ehe ich es gedacht, war ich wirklich fest eingeschlafen.
Stimmengemurmel und helles Licht weckten mich unsanft. Aber geistesgegenwärtig brachte ich sofort die Arme wieder auf den Rücken, als ob ich noch gefesselt sei. Und Rolf machte, als ich zu ihm hinblickte, gerade dieselbe Bewegung.
Die Leiter war wieder herabgelassen worden, und mehrere Lamas waren damit beschäftigt, die Fackeln in den Haltern anzuzünden. Gott sei Dank waren sie mit ihrer Arbeit so beschäftigt, daß sie unsere Bewegungen nicht bemerkt hatten.
Rolf nickte mir schmunzelnd zu und meinte:
„Guten Morgen, Hans. Ich komme mir jetzt vor wie ein Schuljunge, wenn es Zensuren gibt. Ob wir wohl versetzt werden. Darauf bin ich neugierig."
„Guten Morgen," gab ich zurück, „ja, sehr wahrscheinlich sollen wir in eine bessere Welt versetzt werden. Darauf bin ich neugierig."
„Ah, das Kollegium kommt schon," rief Rolf, „jetzt wollen wir lieber ruhig sein."
Wenigstens fünfzehn Lamas kamen heruntergeklettert und nahmen stumm an den Wänden ringsum Aufstellung. Und langsam, würdevoll stieg dann der höhere Priester herunter, der sich aber nicht, wie ich erwartete, an uns wandte, sondern achtungsvoll am Fuß der Leiter stehen blieb.
Oben ertönte jetzt ein Gongschlag — unwillkürlich mußte ich an eine Theatervorstellung denken — und noch langsamer, noch würdevoller stieg der Abt herab, den der höhere Priester mit tiefer Verbeugung empfing, ebenso wie die anderen Lamas sofort den Rücken krümmend.
Wir zogen es vor, uns jetzt zu erheben, gebrauchten aber die Vorsicht, an der Wand stehen zu bleiben, damit niemand sah, daß unsere Arme nicht mehr gefesselt waren.
Der Abt trat auf uns zu, neben ihm der höhere Priester, und der letztere begann:
„Ich habe Meldung erhalten, daß Ihr Gefährte mit seinem Gefangenen verschwunden ist. Damit haben wir ihn aus unserer Gemeinschaft gestrichen, denn jetzt wird er ja doch nicht die Freiheit wiedererlangen. Wissen Sie doch selbst nicht, wo Sie Ihren
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