Rolf Torring 021 - Unter Fanatikern
Gefährten suchen sollen."
Neben Wut sprach auch etwas Scheu aus dem Ton seiner Stimme, denn sicher hielten die abergläubischen Leute Pongo für einen Teufel, der sich unsichtbar machen konnte.
Für uns war diese Nachricht ja auch eine sehr große Überraschung, denn das hätten wir doch nicht gedacht.
Aber wir nahmen uns zusammen, zuckten mit keiner Miene, und Rolf sagte ruhig:
„Wenn wir freigelassen werden, ist der Gefangene auch frei. Ich kenne meinen Gefährten und weiß, daß er alles beobachtet."
Fast hätte ich aufgelacht, als bei diesen Worten der Priester und der Abt sich schnell umdrehten und dann in die Höhe blickten. Als ob sie Pongo entdecken könnten. Dadurch bekamen wir aber auch die Gewißheit, daß der Abt ebenfalls Englisch verstand; also war er nur zu vornehm, um an uns gewöhnliche Sterbliche direkt das Wort zu richten.
„Sie können ihn nicht sehen," sagte Rolf sofort sehr ernst, „aber er beobachtet doch alles."
Der höhere Priester hatte sich aber schon gefaßt.
„Das dürfen Sie uns nicht erzählen," lächelte er. „Ihr Gefährte ist ein starker, listiger Mensch, aber kein Geist. Doch jetzt hören Sie den Urteilsspruch, den der Oberste über Sie gefällt hat. Er ist in letzter Minute, nach dem das Verschwinden Ihres Gefährten bekannt wurde, geändert worden."
„Aber, wenn er nun wieder auftaucht," unterbrach ihn Rolf.
„Dann gilt der erste Urteilsspruch. Doch hören Sie: Der Oberste hat befohlen, daß Sie für die Entweihung der Stadt, für Ihren Fluchtversuch und die Gefangennahme eines Priesters, der jetzt verschwunden ist, den Tod erleiden sollen. Wie es aber tapferen Männern geziemt, sollen Sie erschossen werden. Ich hoffe, daß Sie diese Rücksichtnahme anerkennen werden."
„Gewiß," sagte Rolf sehr ernst und verbeugte sich, „wir sind für diese Todesart sehr dankbar. Doch dürfte ich vielleicht auch den ersten Urteilsspruch hören?"
„Der erste Spruch lautet: Wenn Sie den gefangenen Priester unversehrt frei lassen, sollen Sie auch die Freiheit wieder haben. Doch zur Strafe der Entweihung müßten Sie die heilige Stadt ohne Waffen verlassen."
„Das wäre also auch gleichbedeutend mit einem Todesurteil," meinte Rolf trocken, „denn ohne Waffen ist uns der Tod in der Steppe gewiß. Da ziehe ich den zweiten Urteilsspruch schon vor, denn der Tod durch Erschießen kommt schneller. Dürfte ich noch fragen, wo das Urteil vollstreckt werden soll?"
„Es wird im Tempel des strafenden Gottes vollstreckt. Machen Sie sich bereit, es soll sofort vollzogen werden."
Ich blickte Rolf verstohlen von der Seite an. Ob es nicht jetzt an der Zeit war, einen Fluchtversuch zu machen? Sicher wären die Lamas so überrascht, daß wir einen Vorsprung gewinnen würden, ehe sie sich zur Verfolgung aufraffen würden.
Rolf hatte den Kopf gesenkt, und ich wußte, daß er jetzt scharf nachdachte. Schon machte der höhere Priester eine ungeduldige Bewegung, da hob mein Freund den Kopf und sagte:
„Hätten wir noch eine kurze Frist, wenn wir versuchen wollen, unseren Gefährten herbeizurufen? Ich habe mir überlegt, daß der erste Urteilsspruch uns doch noch Gelegenheit gibt, unser Leben zu retten."
Erstaunt wandte sich der Priester an den Abt und unterhandelte mit ihm. Auch ich war erstaunt, denn wenn Rolf wirklich unseren Pongo herbeirief, waren wir völlig in der Gewalt dieser Fanatiker. Wußten wir denn, ob sie Wort hielten?
Aber da bemerkte ich, daß Rolf leise schmunzelte, und wußte jetzt, daß er schon einen guten Plan hatte. Wie er aber eine einschneidende Änderung unserer Lage herbeiführen wollte, konnte ich mir im Augenblick nicht denken Da flüsterte er mir, kaum als Hauch hörbar, in deutscher Sprache zu:
„Wenn ich vorspringe, nimmst du den Priester, ich den Abt."
So leise es auch gesprochen war, der höhere Priester schien es doch gehört zu haben, denn er unterbrach sein Gespräch mit dem Abt, blickt«» uns scharf an und sagte warnend:
„Hüten Sie sich vor Unvorsichtigkeiten. Hier können Sie doch nicht hinaus. Warten Sie, bis ich mich besprochen habe."
Dann setzte er die Unterhaltung mit dem Abt fort. Aus dem Mienenspiel der beiden konnte ich erkennen, daß der Abt anscheinend mit Rolfs Vorschlag einverstanden war, während der Priester dagegen zu sein schien. Und das bot mir eine gewisse Beruhigung, denn schließlich hatte der Abt entschieden mehr zu bestimmen.
Und er drang mit seiner Ansicht auch durch, denn endlich wandte sich der Priester uns zu und
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