Rolf Torring 067 - Der Fakir
dringen. Ihrem Freddy, lieber Horsing, traue ich es zu, daß er einen Eingeborenen gekränkt hat."
„Er hat mir schon viele Scherereien gemacht," gab der Oberst zu. „Ich werde ihn ins Gebet nehmen, wenn ich nach Hause komme. Das Resultat teile ich Ihnen mit, lieber Roberts. Sehen Sie, ich wußte, daß uns Herr Torring helfen könnte."
„Aber ich bitte Sie," wehrte Rolf lächelnd ab, „es ist noch gar nicht gesagt, daß Ihr Freddy Ihnen die Sache eingebrockt hat. Wie alt ist Ihr Sohn?"
„Sechzehn Jahre. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich kaum noch Gewalt über ihn habe. Ein Nichtsnutz ist er und stets zu Streichen aufgelegt. Da er der Liebling meiner Frau ist, kann ich wenig gegen ihn machen."
Ich mußte mir ein Lächeln verbeißen, als der große, energische Mann, der Regimentskommandeur war, die letzten Worte aussprach. Er schien in seiner Ehe selbst kommandiert zu werden. Daß die Tatsache bekannt war, bewies das leise Schmunzeln des Polizeichefs.
„Wenn es Ihnen recht ist, Herr Oberst," sagte Rolf, „möchte ich erst einmal Ihren Sohn sprechen. Vielleicht würde er Ihnen gegenüber aus Angst vor Strafe etwas verschweigen."
„Angst hat mein Junge nicht," rief Horsing sofort stolz, „er sagt ganz offen, wenn er etwas angestellt hat. Aber es ist mir recht, sprechen Sie mit ihm. Er schwärmt für Sie, besonders für Pongo; da wird er Ihnen jede Frage beantworten."
„Gut," sagte Rolf, „es kann sich um eine Kleinigkeit handeln, die Freddy schon vergessen hat. Ich kenne die Sitten der Inder gut und kann ihn ausfragen."
„Natürlich," rief Roberts eifrig, „das ist richtig. Ich bin zwar schon fünfzehn Jahre in Indien, aber um die Sitten der Inder habe ich mich noch nicht kümmern können. Oberst, Herr Torring packt die Sache richtig an."
„Hoffentlich war mein plötzlicher Einfall gut," meinte Rolf. „Da Sie die nächstliegenden Punkte schon In Betracht gezogen haben, könnten wir auf diesem Wege die Lösung des Rätsels finden. Vor allem würde ich mich freuen, wenn die Offiziere wieder gesund würden. Wie geht es ihnen?"
„Sie sind ganz apathisch," berichtete Horsing, „aber sobald sie mich sehen, bekommen sie einen Wutanfall. Man könnte annehmen, daß ich als Kommandeur sie schlecht behandelt hätte. Aber jeder Soldat meines Regiments kann Ihnen bezeugen, daß ich stets gut und gerecht gegen meine Offiziere und Mannschaften gewesen bin."
„Dann müssen wir sehen, daß wir auf dem vorgeschlagenen Wege weiter kommen," sagte Rolf. „Vielleicht können wir auch die Bedauernswerten einmal sehen? Wir kennen viele Gifte und ihre Wirkungen. Mich würde es sehr freuen, wenn wir auch die Ursache dieser Erkrankungen finden würden."
„Die ersten vier Herren sind schon in Madras," sagte der Oberst, „aber die beiden anderen und Town sind noch hier. Ich müßte annehmen, daß Sie der Himmel geschickt hat, wenn Sie den Bedauernswerten helfen könnten."
„Ich möchte keine Hoffnungen in Ihnen erwecken," wehrte Rolf sofort ab. „Ich muß sogar gestehen, daß ich meine größten Hoffnungen auf Pongo setze, er kennt besonders die Pflanzen der tropischen Urwälder und ihre Wirkungen. Zuerst wollen wir einmal mit Freddy sprechen."
Horsing bat den Adjutanten, dem Fahrer Bescheid sagen zu lassen, dann entschuldigte er sich bei uns, daß ihn der Dienst noch einige Stunden zurückhielte, versprach aber, sich möglichst zu beeilen. Auch der Polizeichef verabschiedete sich, da er ins Amt zurück mußte. Horsing hatte ihn zum Abend eingeladen. Er versprach, sich freizumachen.
Als an die Tür geklopft wurde, standen wir auf, da wir annahmen, daß der Wagen gemeldet würde.
Auf das „Herein!" des Obersten aber stürmte ein hochgewachsener, schlanker Junge mit frischem, hübschem Gesicht ins Zimmer.
„Nanu, Freddy", rief Horsing streng, „weshalb kommst du hierher? Du solltest doch zu Hause bleiben!" Der strahlende Ausdruck seiner Augen stimmte gar nicht mit dem strengen Ton überein. Freddy lachte unbekümmert, während er ausrief:
„Vater, es dauerte mir zu lange! Weshalb hast du die Herren aufgehalten? Ich mußte einfach herkommen!"
Mir gefiel der hübsche Junge. Ich blickte ihn freundlich an. Plötzlich wurde sein Gesicht ernst, ja, es verzerrte sich in eigenartiger Weise. Seine Augen waren jäh mit stierem Ausdruck auf den Vater gerichtet, und mit völlig veränderter
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