Rolf Torring 111 - Der Todesweg
Dach aus haben wir sicher eine gute Übersicht und können feststellen, wo der Tempel eigentlich liegt. Vielleicht sind wir Pongo so nahe, daß wir ihm ein Zeichen geben können."
„Sollen wir rufen, Herr Torring, wenn die Wächter den Hof verlassen?" fragte Balling.
»Nicht rufen! Treten Sie vom Fenster zurück, während Kapitän Hoffmann dort bleibt. Das mag das Zeichen für uns sein, das niemandem auffallen wird."
„Komm schnell, Rolf! Lange werden sich die Wächter bestimmt nicht unter den Tigern aufhalten!"
Rolf trat vom Fenster zurück und führte mich zu einem Pfeiler, den er wortlos zu erklettern begann. Oben lief eine schmale Galerie entlang, die wohl mehr als Zierat gedacht war, die uns aber, als wir oben angelangt waren, genügend Platz bot.
Die schrägen Oberfenster lagen noch höher. Rolf kletterte deshalb an vorstehenden Verzierungen weiter. Endlich hatten wir das Ziel erreicht und konnten durch ein Fenster ins Freie blicken. Es ließ sich leider nicht öffnen, so daß Rolf gezwungen war, vorsichtig eine Scheibe einzudrücken. Die kleinen Scherben fielen teils nach außen, teils nach innen; die nach draußen fallenden Splitter wurden durch Mauervorsprünge aufgehalten und gelangten nicht in den Hof, sonst hätten sie uns wahrscheinlich verraten.
Wir konnten uns durch die entstandene Öffnung zwängen und saßen bald darauf auf dem an dieser Stelle nicht steil abfallenden Dach des Tempels. Noch weiter oben befand sich eine Kuppel, die wir zu erreichen suchten. Unter Mühen gelang auch das in kurzer Zeit.
Von hier aus hielten wir Umschau. Die Wärter auf dem Hofe konnten wir nicht sehen; sie wurden durch Mauervorsprünge verdeckt. Aber auch sie konnten uns hier in der luftigen Höhe nicht bemerken. Rings um den Tempel zog sich dichter Urwald hin; nur nach Süden lief ein schmaler Pfad, der unserer Meinung nach zum "Todesweg" führte.
Dann untersuchten wir die Kuppel näher. Sie war so groß, daß sich bequem sechs Mann darin aufhalten konnten. Im Boden des Innenraums befand sich eine Klappe, die wir vorsichtig aufzogen: wir erblickten eine nach unten führende Holztreppe. Ich schaute Rolf fragend an. Sollten wir sie untersuchen? Mein Freund nickte, und so begann ich sofort, die Treppe hinabzusteigen, während Rolf zu meinem Schutze oben blieb.
Nach ungefähr zwanzig Stufen befand ich mich auf einem Gang, der unter dem Dach seitwärts fortführte. Als ich über die Brüstung blickte, sah ich unter mir den Raum, in dem wir gefangengehalten wurden.
Balling und Hoffmann standen noch immer am Fenster und schauten hinaus.
Jetzt weiterzugehen, hätte wenig Zweck gehabt. Ich mußte mich erst mit Rolf wieder in Verbindung setzen und kehrte deshalb um.
„Da haben wir wahrscheinlich den Beobachtungsstand unserer Wächter gefunden," erklärte Rolf nach meinem Bericht. „Sie werden sicher bald heraufkommen; dabei müssen wir sie außer Gefecht setzen. Das muß lautlos geschehen. Komm!"
Ich stieg Rolf voraus hinunter und zeigte ihm unsere am Fenster Posten stehenden Gefährten. Gerade trat Balling zurück und blickte dabei nach oben. Er konnte uns aber nicht sehen, denn er blickte nach der anderen Seite, wo wir hochgeklettert waren. Ich wollte schon ärgerlich werden, daß Balling so offensichtlich nach uns Ausschau hielt, als er sich, den Blick auf den Boden geheftet, auf die Erde setzte.
„Wir wollen uns dort aufstellen," meinte Rolf und deutete auf eine Nische. „Da kann uns ein Mensch, der hierher kommt, nicht sofort entdecken."
Gespannt warteten wir in dem Versteck, aber es verging noch reichlich eine halbe Stunde, bis wir Schritte hörten, die sich näherten. Der Ankömmling mußte, als er den Gang betreten hatte, plötzlich stillstehen. Vielleicht blickte er über die Brüstung nach unten und vermisste uns beide. Mir dauerte das alles viel zu lange, aber ich mußte mich beherrschen.
Schon befürchtete ich, daß er umkehren und seinen Kameraden holen würde, als die Schritte verrieten, daß er in unserer Richtung weiterging. Als er an unserer Nische vorbeikam, trat Rolf blitzschnell vor und wandte einen Jiu-Jitsu-Griff an. Ich presste dem Gegner die Hand auf den Mund, daß er nicht schreien konnte. Der Malaie machte die größten Anstrengungen freizukommen, aber zwei Gegnern auf einmal war er nicht gewachsen. Bald hatten wir ihn mit Stricken, die wir vorher schon in einem kleinen Nebengelaß
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