Rolf Torring 111 - Der Todesweg
ich sagte, daß hinter der ganzen Angelegenheit um das Geheimnis des 'Todesweges' etwas anderes steckt, als die meisten vermuten. Wir sind hier in einem alten Tempel. Den — suchte ich, als ich den ,Todesweg' bis zur Landstraße verfolgte. Zum Glück ist Pongo frei. Er wird uns sicher suchen und hoffentlich auch finden, wenn wir zur verabredeten Zeit nicht bei ihm sind."
„Sehn Sie sich mal den Vorhof an, Herr Warren," fuhr Balling fort „Die Waffen hat man uns natürlich abgenommen!"
Ich schritt zu einem kleinen Fenster hin, das mehr einem Luftdurchlass glich, und schaute in den Vorhof des alten Tempels. Fast erschrocken fuhr ich zurück: im Hofe gingen gemütlich ein paar Tiger spazieren.
Rolf war herangetreten und sagte:
„Die Tiere sind hervorragend dressiert und anscheinend handzahm. Ich sah zwei Malaien, die uns wahrscheinlich auch das Essen bringen werden; sie bewegten sich sorglos zwischen den Tigern, als wären die Raubkatzen Lämmer."
„Vielleicht greifen sie auch uns nicht an, wenn wir uns um sie nicht kümmern," warf ich optimistisch hin.
Rolf lachte mich aus.
„Ihre Zahl ist größer, als du denkst. Der Vorhof zieht sich um den ganzen Bau herum Ich schätze, daß draußen mindestens zwölf Tiger lustwandeln. Willst du wirklich zwischen ihnen hindurchgehen? Wir müssen schon auf Pongo warten!"
„Vielleicht gibt es einen unterirdischen Gang, durch den wir ins Freie gelangen können," meinte Kapitän Hoffmann. „Solche Gänge sollen in alten Tempeln häufig anzutreffen sein."
„Suchen wir gleich!" schlug Balling vor.
„Warten wir lieber erst, bis man uns die Abendmahlzeit gebracht hat!" widersprach Rolf. „Dann kommen sie erst am Morgen wieder, und wir haben die ganze Nacht vor uns, um zu suchen"
Daß es stark auf den Abend ging, hatten wir am Stand der Sonne gesehen.
„Wo mag der Tempel liegen, Rolf? Wird Pongo uns hier finden?" fragte ich.
„Frag nicht so viel auf einmal, Hans! Pongo wird uns suchen, und wenn Pongo jemand sucht, findet er ihn auch!"
„Ich wollte, er käme bald!" brummte Balling vor sich hin.
Als es zu dunkeln begann, erschienen zwei Malaien, die eine Laterne mitbrachten, die sie uns während der Nacht dalassen wollten. Sie waren sehr höflich und behandelten uns nicht wie Gefangene. Sie gingen und kehrten nach kurzer Zeit mit dem Essen zurück. Mit einer höflichen Verbeugung verließen sie uns.
„Aus dieser Gefangenschaft werde ich nicht recht klug" murmelte Balling. „Weshalb hat der Erzgauner von Großkaufmann uns nicht gleich umgebracht?"
„Er wird seine Gründe dafür haben. Es kann ja herauskommen, Herr Balling, daß wir zuletzt in seinem Hause waren, ehe wir verschwanden," suchte Rolf sich die Lage zurechtzureimen. „Er kann uns also jederzeit wieder auftauchen lassen. Später, nach einiger Zeit, wenn unser Verschwinden nicht aufgefallen ist, kann er mit uns leichter machen, was ihm beliebt."
„Wir wollen uns den gesunden Appetit nicht durch Herrn Agis verderben lassen!" lächelte Balling. „Guten Appetit, meine Herren! Bitte, langen Sie zu, ich lade Sie ein!"
Wir warteten nach dem Essen fast zwei Stunden, ehe wir daran gingen, den Tempel zu untersuchen.
Er schien nur aus dem Hauptraum zu bestehen, in dem wir gefangengehalten wurden. Nicht einmal Nebenräume schienen vorhanden zu sein, wie wir sie in indischen Tempeln meist angetroffen hatten.
Gründlich durchsuchten wir den ganzen Raum und vergaßen den mit Steinfliesen belegten Boden nicht. Rolfs besondere Aufmerksamkeit galt der Stelle, an der offensichtlich früher das Götterbild gestanden hatte. Hier waren in den meisten Tempeln Falltüren angebracht, die in unterirdische Räume führten.
„Es hat keinen Zweck," brummte Balling schließlich, blickte aber gleichzeitig mit dem verlegenen Lächeln drein, das ihn in jeder Situation auszeichnete. „Mir tut es nur leid, daß ich dem Kerl, dem Großkaufmann, nicht ordentlich meine Meinung sagen kann."
„Sie waren doch erst so begeistert von Herrn Agis!" meinte Rolf sehr sachlich. „Mit seiner Hilfe wollten Sie sogar das Geheimnis des ,Todesweges' entschleiern."
„Kann man einem Menschen ins Herz sehen, Herr Torring? Ich bin ein alter Knabe, ein bißchen geradezu manchmal vielleicht, aber ich traue keinem anderen Menschen etwas Böses zu, solange ich nicht die Beweise dafür habe."
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