Rolf Torring 129 - Unter Indianern
Gefangenschaft geraten wie wir; plötzlich hatten die beiden Raubkatzen an seiner Seite gestanden, und so war es klar, daß er sich gegen sie nicht wehren konnte.
„Der Indianer wartet auf einen ganz bestimmten Tag," schloß der Professor, „an dem ich geopfert werden soll. Aus der Geschichte der Indianer kenne ich den Tag. In drei Tagen würde es so weit sein. Sie sind also gerade zur rechten Zeit gekommen."
Rolf dämpfte den Optimismus des Gelehrten etwas und meinte, noch wären wir ja nicht frei. Ich bat meinen Freund, etwas leiser zu sprechen, der Indianer könne uns ja belauschen, aber Professor Membro wehrte ab:
„Indianer kennen Neugierde in diesem Sinne nicht."
„Wir brauchen die Wartezeit hier nicht untätig verstreichen zu lassen," schlug Rolf nach einer Weile vor, „sondern können versuchen, ob es uns mit vereinten Kräften gelingt, die Tür etwas zur Seite zu schieben. Es soll einstweilen nur ein Versuch sein, ob es uns heute Nacht, wenn die Raubkatzen voraussichtlich zur Tränke gehen, gelingt, hier auszubrechen."
Wir stemmten uns gegen die Tür, und wirklich, es war gar nicht schwer, sie etwas zu bewegen. Sofort aber vernahmen wir von dem Gang, auf den die Tür mündete, ein wütendes Fauchen und wußten, daß wir ständig unter Bewachung standen.
„Was erhalten Sie hier eigentlich zu essen?" fragte Rolf später. „Sie sehen gar nicht schlecht aus, Herr Professor."
„Der alte Indianer mästet mich förmlich," erwiderte Professor Membro lachend. „Es gibt allerdings fast täglich dasselbe und gleich morgens für den ganzen Tag: reichlich gedörrtes Fleisch, dazu Hirsebrei und Maiskuchen."
„Na, hoffentlich kriegen Sie bald mal etwas anderes in den Magen" meinte ich. „Wollen Sie übrigens die Grabkammer noch untersuchen, oder legen Sie keinen Wert mehr darauf?"
„Was mich zu wissen interessierte, weiß ich," antwortete der Professor. „Aber Mister Raster möchte ich gern noch einmal begegnen!"
„Vielleicht treffen wir ihn auch noch," sagte Rolf. „Er treibt sich hier in der Gegend umher."
Mein Freund berichtete von dem unsichtbaren Gegner und den Überfällen, hinter denen wir als Urheber Raster vermuteten.
„Das ist er bestimmt," bestätigte der Professor sofort.
Eine Weile war es still zwischen uns. Dann fragte unser Mitgefangener:
„Gehen Ihre Uhren noch richtig? Wie lange werden wir denn hier ausharren müssen?"
„Fast genau fünfzehn Uhr zeigt meine Uhr," sagte Rolf. „Wir haben noch lange Zeit. Vor Mitternacht können wir mit dem Erscheinen unseres Begleiters Pongo nicht rechnen."
In unseren Gesprächen entstanden größere Pausen. Wenn wir redeten, ging es meist um Indianer und ihre Sitten und Bräuche. Professor Membro erzählte uns von seinen Studien und Forschungen. Obwohl er sehr spannend zu berichten wußte, verging die Zeit äußerst langsam. Aber endlich kam der Abend doch. Der alte Indianer hatte sich noch nicht wieder bei uns sehen lassen. Ob er nach draußen gegangen war und das Tal absuchte oder wenigstens beobachtete?
Rolf meinte, wir könnten es jetzt ja noch einmal versuchen, die schwere Tür zu bewegen. Bald aber merkten wir, daß einer der Jaguare noch immer dahinter Wache hielt.
„Wie wäre es, Rolf, wenn wir das Tier hier hereinlockten und einsperrten, wenn wir fliehen?" schlug ich vor. „Zur Not haben wir noch unsere Reservemesser in den Geheimtaschen unserer Hosen. Damit könnten wir uns verteidigen, wenn es gar nicht anders geht."
Rolf wiegte den Kopf hin und her, er hielt das Unternehmen für sehr gewagt, bestand aber wie ich darauf, den Raubkatzen möglichst nichts zuleide zu tun, denn den Schmerz wollten wir dem alten Indianer nicht antun. Der Professor allerdings war anderer Meinung: unser Leben und unsere Freiheit seien ihm lieber als der Indianer und das Tier.
Als wir — nun zum dritten Male — versuchten, die Tür zu bewegen, hörten wir zu unserer Überraschung kein Fauchen. Wir schoben die Tür so weit auf, bis ein Spalt entstanden war, durch den der Jaguar sich bequem hätte zwängen können. Die Taschenlampen hatten wir eingeschaltet, um die Raubkatze mit ihrem Schein zunächst blenden zu können.
Noch ein Stück weiter öffneten wir die Tür. Der Jaguar war nicht da. Rolf ließ den Schein seiner Lampe ein Stück in den Gang hineinfallen, doch so, daß er uns nicht sofort verraten konnte.
Weitere Kostenlose Bücher