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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Sainte-Marguerite, mitten im Herzen der thätigen und arbeitsamen Vorstadt Saint-Antoine, entdeckte er schmutzige Häuser, ganze Gassen von luftlosen, lichtlosen, kellerartigen Gelassen, wo eine ganze Bevölkerung von Unglücklichen faulte und mit dem Tode rang. Auf der wackeligen Treppe glitt der Fuß auf dem aufgehäuften Kehricht aus. In jedem Stockwerk wiederholte sich dieselbe Armut, zum Schmutz, zur niedrigsten Gemeinschaftlichkeit herabgesunken. Ueberall fehlten die Fenster, der Wind fegte durchs Zimmer, der Regen strömte hinein. Viele schliefen auf dem nackten Fußboden, ohne sich jemals auszukleiden. Keine Möbel, keine Wäsche! Das lebte wie die Tiere, suchte Befriedigung und Trost, wie es konnte, wie der Zufall und der Instinkt es mit sich brachten. Alle Geschlechter, alle Lebensalter waren da zusammengedrängt, die Menschlichkeit kehrte durch den Mangel am Notdürftigsten, durch eine solche Armut, daß man sich die von den Tischen der Reichen heruntergefegten Krumen mit den Zähnen streitig machte, zum Tierischen zurück. Ja, das Schlimmste dabei war diese Erniedrigung der menschlichen Natur; es war nicht mehr der freie Wilde, der, nackt durch den Urwald streichend, die Beute jagt und verzehrt, sondern der zivilisirte, wieder zum Tier gewordene Mensch, mit allen Fehlern seines Falles befleckt, entstellt, geschwächt. Rings um ihn her aber herrscht der Luxus und das Raffinement einer Stadt, die die Königin der Welt ist.
    In jeder Wohnung fand Pierre dieselbe Geschichte wieder. Anfangs war Jugend und Frohsinn vorhanden, und das Gesetz der Arbeit ward mutig anerkannt. Dann kam die Erschöpfung. Wozu immer arbeiten, da man ja doch nie reich wird? Der Mann fing an zu trinken, um auch sein Teil am Glück zu haben; die Frau vernachlässigte die Sorge um den Haushalt, trank manchmal ebenfalls und ließ die Kinder wild aufwachsen. Die jammervolle Umgebung, die Unwissenheit und das Zusammengepferchtsein thaten das übrige. Häufiger noch war der Arbeitsmangel an allem schuld gewesen. Er begnügt sich nicht bloß damit, alle Ersparnisse zu verzehren, er erschöpft auch den Mut, gewöhnt an die Trägheit. Während die Werkstätten wochenlang feiern, werden die Arme schlaff. In dem so fieberhaft thätigen Paris ist auch nicht die kleinste Beschäftigung zu finden. Weinend kehrt der Mann abends heim; er hat überall seine Arme angeboten, und es ist ihm nicht einmal gelungen, als Straßenkehrer anzukommen, denn diese Beschäftigung ist viel begehrt. Man bedarf dazu der Protektion. Ist das nicht ungeheuerlich? In dieser großen Stadt, auf deren Pflaster Millionen funkeln und klingeln, sucht ein Mensch Arbeit, um zu essen, und findet keine und hat nichts zu essen. Die Frau hat nichts zu essen, die Kinder haben nichts zu essen. Dann kommt die schwarze Not, die Stumpfheit, zuletzt die Empörung; alle sozialen Bande zerreißen unter der furchtbaren Ungerechtigkeit gegen arme Wesen, die ihre Schwäche zum Tod verurteilte. Aus was für ein Jammerlager, in was für einem Verschlag wird der alte Arbeiter niedersinken, um zu sterben, nachdem fünfzig Jahre harter Arbeit seine Knochen abgenützt haben, ohne daß er einen Sou beiseite legen konnte? Oder sollte man ihn an dem Tage, wo er, da er nichts mehr arbeitet, auch nichts mehr zu essen hat, mit einer Axt erschlagen wie ein abgenütztes Lasttier? Beinahe alle sterben im Hospital. Andere verschwinden, ohne daß jemand sich um sie bekümmert; die schlammige Flut der Straße trägt sie fort. Eines Morgens fand Pierre in einer schändlichen Baracke auf verfaultem Stroh einen, der verhungert war; er lag seit einer Woche vergessen da, und die Ratten hatten ihm das Gesicht zerfressen.
    Aber eines Abends im letzten Winter strömte sein Erbarmen vollends über. Im Winter, in diesen ungeheizten Löchern, wo der Schnee durch die Ritzen eindringt, werden die Leiden der Unglücklichen noch furchtbarer. Die Seine ist zugefroren, der Boden mit Eis bedeckt, alle möglichen Industriezweige müssen ruhen. In den Quartieren der Lumpensammler, die notgedrungen feiern, gehen ganze Banden von Burschen bloßfüßig, nur notdürftig bekleidet, hungernd und hustend davon. Eine plötzliche rapide Schwindsucht rafft sie hin. Er fand ganze Familien, Frauen mit fünf und sechs Kindern, die, an einander geschmiegt, zusammen kauerten, um sich warm zu halten, und seit drei Tagen nichts gegessen hatten. Und dann kam jener schreckliche Abend, da er als erster in das am Ende eines finstern Ganges gelegene

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