Rom: Band 1
hier drei Fresken hat. Endlich sprach er in murmelndem Ton:
»Ach, Botticelli, ach, Botticelli! Er ist die Eleganz und die Anmut der leidenden Leidenschaft, die tiefe Empfindung der Trauer in der Wollust! Er hat unsere ganze moderne Seele erraten und mit dem verführerischsten Zauber umgeben, der je von einer künstlerischen Schöpfung ausging.«
Pierre betrachtete ihn verblüfft; dann wagte er zu fragen:
»Sie kommen hierher, um die Botticellis anzusehen?«
»Aber gewiß,« antwortete der junge Mann ruhig. »Ich komme nur seinetwillen jede Woche auf einige Stunden, und ich sehe nichts anderes an als ihn ... Da, betrachten Sie doch dieses Blatt: Moses und die Töchter Jethros. Hat menschliche Zärtlichkeit und Schwermut je etwas Ergreifenderes hervorgebracht?«
Und mit einem leichten, frommen Beben der Stimme, mit der Miene eines Priesters, der in den köstlichen, beunruhigenden Schauer des Heiligtums tritt, sprach er weiter:
»Ach, Botticelli, Botticelli! Die Frauen Botticellis mit ihrem langen, sinnlichen und reinen Gesicht, mit ihrem unter der dünnen Gewandung etwas stark hervortretenden Bauche, mit ihrer hochaufgerichteten, geschmeidigen und schwebenden Haltung, wobei ihr ganzer Körper sich hingibt! Die jungen Männer, die Engel Botticellis, die so wirklich und doch schon wie Frauen sind, von einem ungewissen Geschlecht, in dem sich die Kraft der Muskeln mit der Zartheit der Umrisse vermengt! Alle werden von einer Flamme des Verlangens emporgetragen, deren Brand den Betrachtenden mitreißt. Ach, die Münder Botticellis, diese sinnlichen, gleich Früchten geschlossenen, ironischen oder schmerzlichen Münder! Sie sind so rätselhaft in ihren geschwungenen Kurven, und man kann nicht sagen, ob sie Reines oder Abscheuliches verschweigen! Die Augen Botticellis, diese schmeichelnden, leidenschaftlichen, mystisch oder wollüstig vergehenden Augen! Sie sind manchmal in ihrer Freude so tiefschmerzlich, daß in der Welt nichts Unergründlicheres dem menschlichen Nichts sich öffnet! Die Hände Botticellis, die so sorgfältig ausgearbeitet, so gepflegt sind, gleichsam ein so kräftiges Leben besitzen, frei umherspielen, sich mit einander vereinigen und mit so gesuchter Anmut sich küssen und mit einander sprechen, daß sie manchmal gesucht erscheinen; aber eine jede hat ihren Ausdruck, den ganzen mannigfaltigen Ausdruck des Genusses und des Leidens der Berührung! Und doch ist hier nicht Verweichlichtes oder Verlogenes zu sehen, überall herrscht eine Art männlichen Stolzes, eine leidenschaftliche, prächtige Bewegung belebt und reißt die Gestalten hin; ein vollständiges Streben nach der Wahrheit, ein genaues Studium, die größte Gewissenhaftigkeit, ein echter Realismus verbessert und mäßigt die geniale Seltsamkeit der Empfindung und des Charakters und verklärt selbst die Häßlichkeit mit unvergeßlichem Reiz.«
Das Erstaunen Pierres wuchs, wahrend er Narcisse zuhörte; er bemerkte zum erstenmal seine etwas studirte Vornehmheit, das gelockte, auf florentinische Art verschnittene Haar, die blauen, fast malvenfarbigen Augen, die in der Begeisterung noch blässer wurden.
»Gewiß,« sagte er zuletzt, »Botticelli ist ein wunderbarer Künstler ... Aber mir scheint, daß hier Michel Angelo ...«
Aber Narcisse unterbrach ihn mit einer fast heftigen Geberbe.
»Ach nein, nein, reden Sie mir nicht von dem! Er hat alles verdorben, alles zu Grunde gerichtet. Ein Mensch, der sich wie ein Stier an die Arbeit spannte, der sein Werk wie ein Handarbeiter herunterrasselte, so und so viele Meter per Tag! Und ein Mensch ohne alles Geheimnisvolle, Unbekannte, der alles so derb sah, daß einem die Schönheit verleidet wird. Männerkörper wie Baumstämme, Frauen wie riesige Metzgerinnen, Massen albernen Fleisches, ohne daß dahinter eine göttliche oder teuflische Seele steckt! Ein Maurer, wenn Sie wollen, ja, das ist er! Ein gewaltiger Maurer, mehr nicht!«
Unbewußt trat in diesem verwickelten, von der Sucht nach Eigenartigem und Seltenem verdorbenen Gehirn des müden Modernen der verhängnisvolle Haß gegen die Gesundheit, Stärke und Kraft zu Tage. Dieser Michel Angelo, der ohne Anstrengung erzeugte, der die wunderbarste Kunstschöpfung hinterlassen, die je ein Künstler zur Welt gebracht, war der böse Feind. Sein Verbrechen bestand eben in diesem Schaffen, diesem Lebengeben, so daß alle die kleinen Kunstschöpfungen der anderen, selbst die köstlichsten, in dieser überströmenden Flut der lebendig in die Sonne
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