Rom: Band 1
Geschlecht endete. Der im Jahre 1848 gestorbene Fürst Ascanio hatte von seiner Gemahlin, einer Corvisieri, vier Kinder gehabt: Pio, den Kardinal, Serafina, die nicht geheiratet hatte, um bei dem Bruder bleiben zu können, Ernesta, die nur eine Tochter hinterlassen hatte, so daß der Sohn Onofrios, der jetzt dreißigjährige Fürst Dario, der einzige männliche Erbe und Fortsetzer des Namens war. Wenn er ohne Nachkommenschaft starb, so mußte mit ihm die lebenskräftige Rasse der Boccanera, deren Thaten die Geschichte erfüllt hatten, erlöschen.
Dario und seine Base Benedetta hatten sich von Kindheit an mit einer lächelnden, tiefen und natürlichen Leidenschaft geliebt. Sie waren für einander geboren und konnten sich gar nicht vorstellen, daß sie zu etwas anderem in die Welt gekommen sein sollten, als Mann und Frau zu werden, wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht hätten. Als Fürst Onofrio, ein liebenswürdiger, in Rom sehr populärer Mann, der sein bißchen Vermögen nach Herzenslust ausgab, sich, schon nahe den Vierzig, entschlossen hatte, die Tochter der Montefiori, die kleine Marquise Flavia, zu heiraten, deren prächtige, kindlich-junonische Schönheit ihn toll machte, da war er in die Villa Montefiori gezogen, die den einzigen Reichtum, den einzigen Besitz jener Damen bildete. Sie lag in der Nähe von Sta. Agnese fuori le Mura in einem riesigen Garten, einem wahren Parke mit hundertjährigen Bäumen; aber die Villa selbst, ein ziemlich armseliger Bau aus dem siebenzehnten Jahrhundert, zerfiel in Trümmer. Böse Gerüchte waren über die Namen im Schwange; die Mutter war seit ihrer Verwitwung beinahe deklassirt, die Tochter zu schön, von zu keckem Auftreten. Die Heirat wurde daher auch von der sehr strengen Serafina und dem ältern Bruder Pio, der damals erst bestallter Geheimkämmerer des heiligen Vaters und Kanonikus an der vatikanischen Basilika war, formell gemißbilligt. Nur Ernesta hatte mit dem Bruder, den sie seiner bezaubernden Heiterkeit wegen anbetete, auch in der Folge die Beziehungen aufrecht erhalten, so daß es später ihre liebste Zerstreuung wurde, jede Woche mit ihrer Tochter Benedetta einen ganzen Tag in der Villa Montefiori zuzubringen. Und was für ein köstlicher Tag war das immer für die zehnjährige Benedetta und den fünfzehnjährigen Dario – was für einen Tag brachten sie zärtlich und geschwisterlich in diesem ungeheuren, fast verlassenen Garten mit seinen schirmartigen Pinien, seinem Riesenbuchsbaum, seinem Eichengehölz zu, in dem man sich wie in einem Urwald verirren konnte!
Die arme, erdrückte Ernesta war eine leidenschaftliche Dulderseele gewesen. Sie kam mit einer ungeheuren Lebenslust auf die Welt und dürstete nach Sonnenschein, nach einem glücklichen, freien und thätigen Leben im hellen Tageslicht. Man rühmte sie wegen ihrer großen, klaren Augen, wegen des reizenden Ovals ihres sanften Gesichtes. Sehr unwissend, wie alle Töchter des römischen Adels, da sie das bißchen, was sie wußte, in einem französischen Nonnenkloster gelernt hatte, wuchs sie gänzlich abgeschlossen im Hintergrunde des düstern Palastes Boccanera auf und kannte von der Welt nichts als die tägliche Spazierfahrt, die sie mit ihrer Mutter über den Corso und den Pincio machte. Dann, fünfundzwanzig Jahre alt, schon müde und verzweifelt, schloß sie die übliche Ehe. Sie heiratete den Grafen Brandini, den Letztgeborenen einer sehr edlen, sehr zahlreichen und armen Familie, der in den Palast in der Via Giulia einziehen mußte, wo dem jungen Paare ein ganzer Flügel des zweiten Stockes eingeräumt wurde. Und nichts veränderte sich. Ernesta lebte in demselben kalten Schatten, in dieser toten Vergangenheit weiter, deren Gewicht sie immer mehr und mehr, gleich einem Grabstein auf sich ruhen fühlte. Es war übrigens beiderseits eine sehr ehrenhafte Ehe. Graf Brandini galt bald für den dümmsten und hochmütigsten Mann von Rom. Er war streng religiös, intolerant und triumphirte, als es ihm nach zahllosen Intriguen und heimlichen, sechsjährigen Schlichen gelang, zum Oberstallmeister Sr. Heiligkeit ernannt zu werden. Von da an schien zugleich mit seinem Amt die ganze düstere Majestät des Vatikans in sein Haus zu ziehen. Unter Pius IX., bis 1870 war das Leben für Ernesta noch erträglich; sie wagte die auf die Straße gehenden Fenster zu öffnen, empfing einige Freundinnen, ohne sich zu verstecken, und nahm Einladungen zu Festen an. Als aber die Italiener Rom eroberten und der Papst
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