Rom: Band 1
sich als Gefangener erklärte, verwandelte sich der Palast in der Via Giulia in eine Gruft. Das große Thor wurde geschlossen, verriegelt, der Thorflügel zum Zeichen der Trauer zugenagelt, und volle zehn Jahre ging alles nur durch die kleine, auf das Gäßchen mündende Thür. Ebenso war es verboten, die Schalterladen der Fassade zu öffnen. Das war das Schmollen, der Protest der schwarzen Gesellschaft. Der Palast versank in die Unbeweglichkeit des Todes und eine vollständige Isolirtheit; es fanden keine Empfänge mehr statt und nur selten, an Montagen, schlüpften Schatten, die Vertrauten Donna Serafinas, durch die schmale, kleine, halboffene Thür. Während dieser zehn düsteren Jahre weinte die junge Frau jede Nacht; die arme Seele verzehrte sich heimlich in Verzweiflung über dieses Lebendigbegrabensein.
Ernesta bekam ihre Tochter ziemlich spät, im dreiunddreißigsten Jahre. Anfangs war ihr das Kind eine Zerstreuung. Dann geriet sie wieder unter den zerreibenden Mühlstein des geregelten Lebens; sie mußte die Kleine ins Sacré-Coeur SS. Trinità de Monti geben, zu den französischen Nonnen, die sie selbst unterrichtet hatten. Von dort kam Benedetta als erwachsenes Mädchen von neunzehn Jahren zurück; sie verstand Französisch und Orthographie, etwas Rechnen, den Katechismus, ein bißchen verwirrte Geschichte. Und das Leben der beiden Frauen, ein Leben im Frauengemach, dem man schon den Orient anmerkte, nahm seinen Fortgang; nie führte der Gatte und Vater sie aus; sie brachten den ganzen Tag in der abgeschlossenen Wohnung zu, und die einzige Erheiterung bildete die ewige, obligatorische Spazierfahrt, die tägliche Runde über den Corso und den Pincio. Im Hause herrschte unbedingter Gehorsam; das Band der Familie war so mächtig, so stark, daß es sie beide unter den Willen des Grafen beugte, ohne daß ein Widerstand möglich war. Dazu kam noch der Wille Donna Serafinas und des Kardinals, die strenge Verteidiger der alten Gebräuche waren. Seit der Papst Rom nicht mehr verließ, gestattete das Amt eines Oberstallmeisters dem Grafen viel Muße, denn die Ställe waren auffallend verringert worden; nichtsdestoweniger versah er seinen Dienst im Vatikan, der einfach eine Formsache war, mit devotem Eifer, gleichsam als eine fortgesetzte Verwahrung gegen die usurpatorische Monarchie, die sich im Quirinal festgesetzt hatte. Benedetta war eben zwanzig Jahre alt geworden, als ihr Vater eines Abends hustend und fiebernd von einer Zeremonie in S. Peter zurückkehrte. Acht Tage später starb er, von einer Lungenentzündung hinweggerafft. Für die beiden Frauen war es, trotz ihrer Trauer, eine uneingestandene Erlösung; sie fühlten sich nun frei.
Von diesem Augenblick an hatte Ernesta nur noch einen Gedanken – nämlich ihre Tochter vor diesem furchtbaren Leben der Einmauerung und des Begrabenseins zu retten. Sie hatte sich allzu sehr gelangweilt, allein für sie war es zu spät, wieder aufzuleben; aber Benedetta sollte nicht ebenfalls ein widernatürliches Leben in einem freiwilligen Grabe führen. Uebrigens zeigte sich ein ähnlicher Ueberdruß, eine ähnliche Empörung bei mehreren Patrizierfamilien, und sie begannen sich nach dem ersten Schmollen wieder dem Quirinal zu nähern. Warum sollten die nach Thätigkeit, Freiheit und Rang dürstenden Kinder sich ewig dem Streit der Väter anschließen? Und ohne daß zwischen der schwarzen und der weißen Gesellschaft eine Versöhnung erfolgen konnte, begannen sich die Farbenschattirungen bereits zu verwischen und unvorhergesehene Heiraten fanden statt. Die politische Frage ließ Ernesta gleichgiltig, sie wußte sogar nichts von ihr; alles, was sie leidenschaftlich wünschte, war, daß ihre Rasse endlich diese verhaßte Gruft, diesen schwarzen, stummen Palast Boccanera verlassen solle, in dem alle Freuden ihres Frauenlebens in einem so langen Sterben erstarrt waren. Als junges Mädchen, als Braut, als Gattin hatte ihr Herz zu viel gelitten; sie erlag nun dem Zorn über ihr verfehltes, durch eine so alberne Resignation verlorenes Geschick. Ein neuer Beichtvater, den sie zu jener Zeit wählte, beeinflußte ihren Wunsch noch mehr; denn sie war sehr fromm geblieben, erfüllte pünktlich ihre religiösen Pflichten und fügte sich den Ratschlägen ihres Gewissensrates. Um sich noch freier zu machen, gab sie den Jesuitenpater auf, den ihr Gatte ihr selbst ausgesucht hatte, und nahm sich den Abbé Pisoni, den Pfarrer einer kleinen benachbarten Kirche, von S. Brigitta aus der Piazza
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