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Rom: Band 1

Rom: Band 1

Titel: Rom: Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Rom kommt, will er keine anderen. Er sagt, daß er hier freier ist, gehen und kommen kann, wann er will. Ich werde Ihnen auch einen Schlüssel von der Thür unten geben, gerade so wie ihm. Und dann die schöne Aussicht!«
    Sie trat in eine Thür. Die für Pierre bestimmte Wohnung bestand aus zwei Räumen, einem ziemlich geräumigen Salon, der eine rote Tapete mit großen Aesten besaß, und einem etwas kleineren Zimmer mit einer flachsfarbenen, mit blauen, verblichenen Blumen bestreuten Tapete. Der Salon aber lag an der Ecke des Palastes und ging auf das Gäßchen und den Tiber hinaus; Victorine öffnete sofort beide Fenster, deren eines einen weiten Ausblick auf den Fluß stromabwärts gewährte, während durch das andere Trastevere und der Janiculus jenseits des Wassers zu sehen waren.
    »Ach ja, das ist sehr angenehm!« sagte Pierre, der ihr gefolgt war und jetzt neben ihr stand.
    Giacomo kam, ohne sich zu eilen, mit dem Handkoffer hinter ihnen her. Es war elf Uhr vorüber. Victorine sah, daß der Priester ermüdet war, und da sie begriff, daß er nach einer solchen Reise sehr hungrig sein müsse, erbot sie sich, ihm sofort im Salon ein Frühstück auftragen zu lassen. Dann hätte er den ganzen Nachmittag für sich, um sich auszuruhen oder auszugehen; die Damen würde er erst abends beim Diner sehen. Er protestirte dagegen. Nein, er wolle entschieden ausgehen und nicht einen ganzen Nachmittag verlieren. Aber das Frühstück nahm er an, denn er starb wirklich beinahe vor Hunger.
    Nichtsdestoweniger mußte sich Pierre noch eine gute halbe Stunde gedulden. Giacomo, der ihn unter der Aufsicht Victorinens bediente, hatte es nicht eilig, und diese verließ den Reisenden nicht eher, als bis sie sich überzeugt hatte, daß es ihm wirklich an nichts fehle.
    »Ach, Herr Abbé, was sind das für Leute, was ist das für ein Land! Davon können Sie sich gar keine Vorstellung machen. Und wenn ich hundert Jahre hier lebe, werde ich mich nicht an die Leute hier gewöhnen. Ach, wenn die Contessina nicht so schön, so gut wäre!«
    Dann, während sie selbst einen Teller mit Feigen auf den Tisch stellte, verblüffte sie ihn durch die Bemerkung, daß eine Stadt, wo es nichts als Pfarrer gebe, keine gute Stadt sein könne. Eine ungläubige, wenn auch thätige und muntere Dienerin in diesem Palaste! Das begann ihn wieder zu erschrecken.
    »Wie, Sie sind nicht religiös?«
    »Nein, nein, Herr Abbé, aber wissen Sie, die Pfarrer sind nicht meine schwache Seite. Ich habe schon zu Hause in Frankreich einen gekannt, als ich noch ganz klein war. Und später habe ich hier zu viele gesehen, ich hab' genug von ihnen. O, ich rede nicht von Seiner Eminenz, das ist ein heiliger Mann und aller Ehren wert. Hier im Hause weiß man, daß ich eine anständige Person bin und mich nie schlecht aufgeführt habe. Warum sollte man mich also nicht in Ruhe lassen – alle wissen ja, daß ich meine Herrschaft liebe und meinen Dienst ordentlich versehe. Ja, ja,« schloß sie mit freimütigem Lachen, »als ich erfuhr, daß ein Geistlicher kommen sollte – als ob wir nicht schon genug hier hätten – da hab' ich anfangs gebrummt. Aber Sie scheinen ein braver, junger Mann zu sein. Ich glaube, wir werden uns ausgezeichnet vertragen ... Ich weiß wirklich nicht, warum ich Ihnen so viel vorschwatze – vielleicht, weil Sie von drüben kommen, und vielleicht auch, weil die Contessina sich für Sie interessirt. Aber Sie verzeihen mir, nicht wahr, Herr Abbé? Und glauben Sie mir, ruhen Sie sich heute aus, begehen Sie nur nicht die Dummheit, in der Stadt da herumzulaufen. Die Sachen, die man zu sehen bekommt, sind lange nicht so unterhaltend, wie die Leute hier behaupten.«
    Als Pierre allein war, fühlte er sich plötzlich ganz zerschlagen. Die Ermüdung der Reise wurde noch durch das Begeisterungsfieber des Vormittags gesteigert, und wie berauscht, wie betäubt von den paar Eiern und dem Kotelett, die er eilig gegessen hatte, warf er sich, mit der Absicht, eine halbe Stunde zu ruhen, ganz angekleidet auf das Bett. Er schlief nicht sofort ein. Er dachte an diese Boccaneras, deren Geschichte er teilweise kannte, und sann über ihr intimes Leben in diesem verlassenen, schweigsamen Palaste, der von so verfallener, so schwermütiger Größe war. Die Ueberraschung der ersten Augenblicke ließ ihm alles in übertriebenem Maßstab erscheinen. Dann verwirrten sich seine Gedanken; er schlummerte ein, während ein ganzer Schwarm von bald tragischen, bald freundlichen Schatten,

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