Rom: Band 1
von wirren Gesichtern ihn umgab, die ihn mit ihren rätselhaften Augen anblickten und im Nichts umherwirbelten.
Die Boccaneras hatten zwei Päpste in der Familie gehabt, einen im dreizehnten, den zweiten im fünfzehnten Jahrhundert; und von diesen zwei Auserwählten, die allmächtig gewesen waren, stammte ihr einstiges, ungeheures Vermögen. Es bestand aus beträchtlichen Gütern in der Gegend von Viterbo, mehreren Palästen in Rom, so vielen Kunstgegenständen, daß man ganze Galerien, so viel Geld, daß man ganze Keller damit anfüllen konnte. Die Familie galt für die frömmste des römischen Patriziats; ihr Glaube war der feurigste und ihr Degen hatte der Kirche stets zur Verfügung gestanden. Ja, sie war die gläubigste, aber auch die heftigste, streitbarste aller Patrizierfamilien. Beständig lag sie in Fehde und war von einer solchen Wildheit, daß der Zorn der Boccaneras sprichwörtlich geworden war. Daher rührte auch ihr Wappen, der beflügelte Drache, der in die Flammen blies, daher die feurige, wilde Devise, die ein Wortspiel auf ihren Namen bildete. Bocca nera, Alma rossa – der Mund, von einem Brüllen verdunkelt, die Seele gleich einer flammenden Glut des Glaubens und der Liebe. Noch jetzt waren endlose Legenden von Leidenschaft, von Akten furchtbarer Gerechtigkeit im Umlauf. So erzählte man von dem Duell Onfredos, desjenigen Boccanera, der gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an Stelle eines alten, verfallenen Gebäudes den jetzigen Palast hatte erbauen lassen. Onfredo erfuhr, daß seine Frau sich von dem jungen Grafen Costamagna auf den Mund hatte küssen lassen. Daher ließ er ihn eines Abends entführen und mit Stricken gefesselt in sein Haus bringen; und dort, in einem großen Saale desselben, zwang er den Grafen, ehe er ihn befreite, einem Mönche die Beichte abzulegen. Dann durchschnitt er die Stricke mit dem Dolch, warf alle Lampen um und schrie dem Grafen zu, den Dolch zu behalten und sich zu verteidigen. Beinahe eine ganze Stunde suchten, mieden und umfaßten sich die beiden Männer im Dunkeln, in dem mit Möbeln vollgestellten Saale, und spickten einander mit Dolchstößen. Und als man zuletzt die Thüren erbrach, fand man zwischen Blutlachen, zwischen umgeworfenen Tischen und zerbrochenen Stühlen Costamagna mit abgeschnittener Nase und mit zweiunddreißig Wunden in den Schenkeln, während Onfredo zwei Finger der rechten Hand verloren hatte und seine Schultern wie ein Sieb durchlöchert waren. Das Wunder war, daß keiner von ihnen daran starb. Hundert Jahre später erfüllte an demselben Ufer des Tiber eine Boccanera, ein Kind von kaum sechzehn Jahren, die schöne, leidenschaftliche Cassia ganz Rom mit Entsetzen und Bewunderung. Sie liebte Flavio Corradini, den Sohn einer mit dem Fluch belegten Nebenbuhlerfamilie. Ihr Vater, der Fürst Boccanera, verweigerte rauh seine Einwilligung, und ihr älterer Bruder Ercole hatte geschworen, ihn zu töten, wenn er ihn je mit ihr überraschen würde. Der junge Mann kam mit dem Boote zu ihr und Cassia traf ihn bei der kleinen Treppe, die zum Flusse führte. Aber Ercole, der ihnen auflauerte, sprang eines Abends in die Barke und stieß Flavio ein Messer mitten ins Herz. Erst später konnte man die Thatsachen feststellen und nahm an, daß Cassia, tobend und wahnsinnig vor Verzweiflung, und da sie den Geliebten nicht überleben wollte, selbst Sühne übte; sie stürzte sich auf den Bruder und ließ das Boot kentern, indem sie den Mörder und sein Opfer mit gleicher unwiderstehlicher Kraft umfaßte. Als man die drei Leichname fand, hielt Cassia noch immer die beiden Männer umfangen und drückte mit ihren nackten Armen, die weiß wie Schnee geblieben waren, ihre Gesichter fest an einander.
Aber all das gehörte verschwundenen Epochen an. Heutzutage schien sich bei den Boccaneras, wenn auch ihr Glaube derselbe blieb, die Heftigkeit des Blutes zu beruhigen. Auch ihr großes Vermögen war in dem langsamen Verfalle verschwunden, der seit einem Jahrhundert die römischen Patrizier mit dem Ruin bedroht. Die Güter mußten verkauft werden, der Palast hatte sich geleert und nahm nach und nach den kleinlichen, bürgerlichen Anstrich der neuen Zeiten an. Aber die Boccaneras wehrten sich hartnäckig gegen jede ausländische Heirat, denn sie waren stolz darauf, daß ihr römisches Blut rein blieb. An der Armut lag ihnen nichts, ihr ungeheurer Stolz that sich Genüge; sie lebten zurückgezogen, ohne eine Klage, in der Stille und dem Dunkel, in dem ihr
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