Rom: Band 1
gewohnt und sich sehr an die Tochter Brandinis angeschlossen, ganz besonders seit dem intimen Drama einer fatalen Heirat, deren Annulirung sie nun anstrebte. Seit sie wieder zu ihrer Tante Serafina und ihrem Oheim, dem Kardinal, zurückgekehrt war, schrieb er ihr oft und sandte ihr französische Bücher. Unter anderen hatte er ihr auch das Pierres geschickt, und daher stammte die ganze Geschichte. Es wurden Briefe darüber gewechselt; dann meldete ein Brief Benedettas, daß das Buch bei der Kongregation des Index angezeigt worden sei, und riet dem Autor, rasch zu kommen. Gleichzeitig wurde ihm in sehr liebenswürdiger Weise die Gastfreundschaft des Palastes angeboten. Der Vicomte, ebenso erstaunt wie der junge Priester, hatte die Sache gar nicht begreifen können; aber aus Klugheit und weil er sich für einen Sieg ereiferte, den er im voraus zu dem seinen machte, bewog er ihn, abzureisen. Daraus erklärt sich, warum Pierre so bestürzt war, als er, in ein Abenteuer verwickelt, dessen Ursachen und Bedingungen ihm unverständlich waren, in dieses unbekannte Haus geriet.
»Was mir aber auch einfällt – lasse ich Sie da stehen, Herr Abbé,« fuhr Victorine plötzlich fort. »Ich werde Sie auf Ihr Zimmer führen. Wo ist Ihr Gepäck?«
Als er ihr seinen Handkoffer zeigte, den er endlich auf die Erde gestellt hatte, und ihr erklärte, daß er sich für die vierzehn Tage seines Aufenthaltes in Rom nur eine Sutane zum Wechseln und etwas Wäsche mitgebracht habe, schien sie sehr erstaunt zu sein.
»Vierzehn Tage! Sie wollen nur vierzehn Tage bleiben! Nun, Sie werden schon selbst sehen.«
Dann rief sie einen langen Kerl von Bedienten herbei, der endlich zum Vorschein gekommen war.
»Giacomo, tragen Sie das ins rote Zimmer hinauf. Darf ich den Herrn Abbé bitten, mitzukommen?«
Diese unerwartete Begegnung mit einer Landsmännin, einer so guten, lebhaften Frau, in diesem düstern, römischen Palast hatte Pierre ganz erheitert und getröstet. Während sie dann durch den Hof schritten, erzählte sie ihm, daß die Prinzessin ausgegangen sei, und die Contessina (wie Benedetta trotz ihrer Verheiratung aus Zärtlichkeit noch immer im Hause genannt ward) heute ihre Zimmer noch nicht verlassen habe, weil sie ein wenig leidend sei. Victorine wiederholte jedoch, daß sie beauftragt sei, für ihn Sorge zu tragen.
Die Treppe befand sich in einem Winkel des Hofes, unter dem Portiko. Es war eine monumentale Treppe, mit breiten, niedrigen und so sachte ansteigenden Stufen, daß ein Pferd sie bequem hätte ersteigen können; aber die Steinwände waren so kahl, die Treppenabsätze so leer und feierlich, daß eine tödliche Schwermut von den hohen Wölbungen auszugehen schien.
Als sie im ersten Stockwerk anlangten, lächelte Victorine, da sie die Bewegung Pierres bemerkte. Der Palast schien ganz unbewohnt zu sein; aus den geschlossenen Sälen drang nicht das leiseste Geräusch. Sie deutete auf eine große Eichenthür rechts.
Seine Eminenz bewohnt hier den Flügel, der auf den Hof und auf den Fluß hinausgeht. O, nicht einmal ein Viertel der Etage, alle Empfangssäle, die auf die Straße gehen, sind geschlossen! Wie könnte man auch eine solche Halle in stand erhalten? Und wozu? Dazu gehörte eine Menge Leute.«
Sie schritt flink weiter. Ohne Zweifel war ihr diese Umgebung noch immer fremd und sie selbst allzu sehr von ihr verschieden, um von dem Milieu beeinflußt zu werden. Im zweiten Stock angelangt, fuhr sie fort:
»Sehen Sie, hier links sind die Appartements Donna Serafinas und hier rechts die der Contessina. Das ist der einzige Winkel im ganzen Hause, wo es ein bißchen warm ist, wo man existiren kann. Uebrigens, heute ist Montag, der Empfangsabend der Prinzessin. Sie werden selbst sehen.«
Dann öffnete sie eine Thüre, die auf eine zweite, sehr enge Treppe ging, und sagte:
»Wir anderen wohnen im dritten Stock. Wenn der Herr Abbé es gestattet, gehe ich voran.«
Die große Ehrentreppe endete im zweiten Stock. Victorine erklärte, daß der dritte Stock nur durch diese Treppe zugänglich sei; sie führe bis an das Gäßchen, das sich längs der Flanke des Palastes bis zum Tiber hinziehe. Dort befinde sich eine eigene Thüre; das sei sehr bequem.
Als sie endlich im dritten Stock angelangt waren und durch einen Korridor schritten, zeigte sie ihm abermals mehrere Thüren.
»Hier wohnt Don Vigilio, der Sekretär Seiner Eminenz. Hier wohne ich ... Und hier sind Ihre Zimmer. Jedesmal, wenn der Herr Vicomte auf ein paar Tage nach
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